Ausstellungen

Archiv

Titus Schade
Die Schwarze Mühle
22. April - 3. Juni 2023
Galerie EIGEN + ART Leipzig

Rundgang der SpinnereiGalerien
Samstag, 29. April 2023, 11 – 19 Uhr
Sonntag, 30. April 2023, 11 – 16 Uhr

Im Werk des Leipziger Malers Titus Schade ist die Windmühle ein zentrales Motiv. Die schlichten hölzernen Gebilde mit ihren raumgreifenden Armen bestücken düstere Stadtansichten und dystopische Landschaften, wobei ihre Position und Größe variieren: Mal werden sie in fragiler Gestalt am Fuß eines ausbrechenden Vulkans von der Lava erfasst, mal thronen sie in einschüchternder Größe über einem Gebäude.

Die fast neurotische Wiederverwendung der gleichen Motive wie Windmühle, Fachwerkhaus oder Vulkan sowie die akribisch kontrollierte Linienführung lassen die Bilder inszeniert erscheinen. Selbstreflexiv macht Schade die Künstlichkeit seiner Werke selbst zum Thema. Wie Spielzeug platziert er seine Motive in einem Regal, stellt sie als Kulisse eines Bühnenbildes auf oder ordnet sie in Miniaturform auf einem Modelltisch an. Statt die Illusion einer naturalistischen Darstellung zu kreieren, enttarnt sich Schade als Schöpfer seiner immer neu komponierten, unheimlichen Bildwelt.

Die Umwandlung von Naturkräften zur Gewinnung von nutzbarer Energie machte die Windmühle bis zu ihrer Ablösung durch die Dampfmaschine im 19. Jahrhundert zum Zeichen des technischen Fortschritts. Doch zeigt die X-förmige Position der Flügel in den Werken Schades die Pausierung des Mahlvorganges an. Überhaupt scheint die Zeit in seinen Werken angehalten zu sein. Trotz einem aufziehenden Sturm oder ausbrechenden Vulkan geht eine gespenstische Ruhe von den menschenleeren Bildern aus.

Damit lassen die Windmühlen weniger an ihre pittoresken Vorgänger aus der Landschaftsmalerei der Niederlande denken, wo die Bauwerke aufgrund ihrer Verbreitung bereits ab dem 15. Jahrhundert zum Motiv wurden.*1 Vielmehr liegen Assoziationen an Werke nahe, in denen sie als bedeutungsgeladene Stimmungsträger auftreten. So malte etwa Rembrandt 1645/48 in einem ominös wirkenden Werk eine Mühle vor einem bedrohlich stürmischen Himmel (National Gallery of Art, Washington D.C.). Auch auf der Kreuztragung Christi von Pieter Bruegel d. Ä. von 1564 ragt symbolträchtig eine Mühle auf einem spitzen Berg hinter dem unübersichtlichen Bildgeschehen in den Himmel empor (Kunsthistorisches Museum Wien).*2

Die geheimnisvollen Mühlen von Titus Schade knüpfen zudem an einen Topos an, der sich vielfach in der Literatur findet und mit dem Standort der Bauwerke zusammenhängt. Die meisten Mühlen befanden sich außerhalb von Dörfern, wo sie auf Hügeln oder freistehenden Flächen bessere Windbedingungen hatten. Ihre abgelegene und einsame Lage führte oftmals zu Gerüchten und abergläubischem Gerede. So wurde die Mühle literarisch als Ort der dunklen Magie, der Müller als Zauberer, der im Pakt mit dem Teufel steht, verarbeitet. Das wohl bekannteste Beispiel ist die aus dem 19. Jahrhundert überlieferte Krabat-Sage aus der Lausitz, die später in Romanen von Jurij Brězan oder Ottfried Preußler aufgegriffen wurde.*3 In beiden Erzählungen gerät der sorbische Waisenjunge Krabat in die Fänge eines bösen Zauberers, der ihn als Lehrling in seiner Mühle der schwarzen Magie gefangen hält und arbeiten lässt.

Die Figur des mächtigen Zauberers, der seine Lehrlinge ausbeutet, lässt sich als kritischer Kommentar auf das einseitige Verhältnis zwischen dem Müller als Unternehmer und den in seiner Abhängigkeit stehenden Bauern übersetzen. *4 So ist auch die Mühle in Bruegels Kreuztragung Christi in diesem Zusammenhang interpretiert worden: Statt Gott, der wütend auf die Kreuzigung seines Sohnes aus dem Himmel herabblickt, überthronen eine Mühle, deren Flügel an das Kreuz Christi erinnern, sowie ein danebenstehender Müller die Szene. Dieser bestimmt mit seiner Position über die Schicksale der unter ihm Stehenden. Auch hat er im Gemälde Bruegels die Macht, das dargestellte Wimmelbild zum Einfrieren zu bringen und die Zeit anzuhalten.*5

Auch Schade hat die Zeit in seinen Werken zum Stillstand gebracht. In seiner bildlichen Selbstreflektion als schöpferischer Künstler zeigt er sich als mächtig, dem sonst emsigen menschlichen Treiben Einhalt zu gebieten. Die Mühle wird in seinen Werken weder als Zeichen des Fortschritts ästhetisiert, noch wird sie nostalgisch zum Gut der alten Zeit stilisiert. Zusammen mit Feuerstellen oder Autos – Errungenschaften für die menschliche Zivilisation – ist sie zum einsamen Verharren verdammt. Statt also einer Maschinerie die Herrschaft über den Lauf der Zeit zu überlassen, nimmt der Maler diese buchstäblich selbst in die Hand.

So mögen sich seine Werke als Kommentar auf eine schnelllebige und vom Fortschritt getriebene Gesellschaft lesen lassen. Zugleich wird die Position der Windmühle neu verhandelt. Sie muss sich vor tödlichen Vulkanen oder gewaltigen Stürmen behaupten. – Eine Machtverhandlung zwischen kulturellem Fortschritt und bedrohlichen Naturgewalten, in der Schade selbst die kontrollierende Oberhand behält.

– Helene von Saldern

1 Vgl. Michael Philipps Aufsatz über die Ikonographie von Windmühlen in den Niederlanden, der erscheinen wird in: Wolken und Licht. Impressionismus in Holland, Ausst.-Kat. Museum Barberini, Potsdam 2023.

2 Die Mühle in Bruegels Werk ist in der Forschung unterschiedlich gedeutet worden. Sie konnte zur damaligen Zeit als Hostienmühle verstanden werden, die für die Umwandlung von Brot in den Leib Christi steht – vgl. Manfred Sellink: Bruegel. The Complete Paintings, Drawings and Prints, Gent 2007, Kat. 127, S. 191–92.

3 Jurij Brězan: Die schwarze Mühle, Berlin 1968; Ottfried Preußler: Krabat, Würzburg 1971; vgl. Günter Bayerl: 

Sagenhafte Müllerburschen. Pumphut und Krabat, in: Krabat. Analysen und Interpretationen, hrsg. von Kristin Luban, Cottbus 2008, S. 57–69, hier S. 58, 69; Klaus Kornwachs: Krabat als Mythos?, in: ebd., S. 97– 115, hier S. 109.

4 Vgl. René Schuster: Im Bann der Schwarzen Mühle, in: ebd. S. 211–13, hier S. 212.

5 Zu dieser Interpretation kommt der Regisseur Lech Majewski in seinem Film: The Mill and the Cross, Polen, Schweden 2011, der auf Michael Francis Gibson’s detaillierten Analyse des Werkes beruht: Portement de Croix. Histoire d’un tableau de Pieter Bruegel l‘Aîné, Paris 1996.

Zurück

Instagram