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Nicola Samorì
Double Page (Of Frogs and Flowers)
Ausstellung: 24. Juni 2016 - 3. September 2016
Galerie EIGEN + ART Leipzig


zur aktuellen Ausstellung

NSamori Ausstellung 1

TU NE VAS DONC PAS TROUVER MAL QUE JE TE FASSE DE LA PEINE1

Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag ... Es gibt keinen tragischeren, keinen gewaltsameren Akt als den der Geburt. Form anzunehmen, Form zu geben, ist ein schmerzhafter, ein gewalttätiger Akt. Sich durch Loslösung von einem Körper abzugrenzen, sich hinter einem Pronomen zu verbarrikadieren. Ich, du. Grundlagen der Identitätsfindung. Schon im Mythos des Paradieses wird das "ein Anderer sein" als Gegensatz zur verlorenen Einheit erfahren. Nun lernen wir in diesem Paradies – dem Paradies der Formen –, dass jede Form eine Ware ist, die etwas kostet.2 Preis ist das Begehren, der Schmerz.

Auch in der Kunst stellt sich jede Genesis als blutiger Akt dar. Das ist Nicola Samorì, dem pietätlosen Geburtshelfer seiner Schöpfungen, sehr bewusst. Bei der Geburt wird der Eine in sein Vielfaches zerlegt. So vollzieht eine jede Entbindung die erste Entbindung nach, und indem sie die originale Multiplikation steigert, bekräftigt sie den Mythos der Schöpfung und der entrissenen Rippe. Bis zum Ende der Zeit, wenn die Massen am Ort des Jüngsten Gerichtes zusammenströmen. Es sind die von Lucas van Leiden entliehenen Vergrabenen und Geretteten, die uns Samorì durch den Vulva-Spalt seines Janus zeigt: Wo das Doppel (Ambiguität der archaischen Weiblichkeit) noch an einem einzigen Körper gefesselt und – aus Frechheit oder durch einen lustigen Zufall – ausgerechnet am anstößigen Punkt des Ursprungs mit ihm verbunden, schreit.

NSamori Ausstellung 2

Samorì ist Schöpfer und Interpret dieser Art von Zerstückelung. Und davon betroffen sind die Körper, die Bilder, die Archetypen. Aber wie immer, wie bei jeder Trennung folgt auf dem Fuße der Wunsch nach Wiedervereinigung. Der von den Göttern amputierte Hermaphrodit träumt von der Wiedervereinigung, wie uns Platon im Symposion lehrt. Auch einzellige Organismen teilen sich durch Mitose, spalten sich auf der Achse und verbinden sich durch Kontakt und Abwandlung ihres genetischen Erbgutes neu. Der Beischlaf, die Umarmung, der Kuss sind nichts als Sublimationen eines solchen Wunsches. Der ewig scheiternde Versuch, wieder eins zu werden, nach der Fraktionierung die Einheit wiederzuerlangen. Wie die Körper sind auch die Bilder auf der Suche nacheinander. Auch Gemälde können einander begehren und umschlingen. Sich küssen. So bekleidet die Mutter ihren Sohn wieder mit dem eigenen Körper, indem sie sich außerhalb der Tafel mit einer beschädigten Pietà in Faser von Haut-Malerei wirft, die den ausgetrockneten, verstümmelten Körper umhüllen, in einer Umarmung, die der der Schwangerschaft folgt und diese nachbildet. Die Mutter wird wieder zur pränatalen Wiege: Sarkophag oder Leichentuch. Der zweischneidige Riss der Geburt wird in der posthumen Umklammerung zweier Schatten wieder zusammengefügt. Doch was passiert, wenn es nicht zwei geisterhafte, aleatorische Präsenzen sind, die einander suchen, sondern lebende, noch von den Lymphen vollgepumpte Körper?

Die Landschaft wird dann die leicht verderbliche und supreme eines verliebten Konzertes. Eines Kampfes, bei dem das Wortgefecht der Kapitulation weicht. Die Liebe sich in ihren Sekretionen zelebriert. Im wechselseitigen Austausch der Körperflüssigkeiten. Ohnehin wird alles durch Keime übertragen: das Leben wie die Krankheit. Auch die Malerei hat einen flüssigen Körper, der den Belastungen des Beischlafs nachgibt. Aufeinander haftend kommunizieren die Häute: Sie erodieren und verkrusten. Nicht nur die Oberfläche des gemalten Körpers verändert sich dadurch, sondern auch das Fleisch selbst. Jeder Übergang, in der Liebe wie in der Kunst, markiert einen Punkt ohne Wiederkehr. Die Berührung verwandelt die Körper von Johannes und Magdalena, die durchbohrt sind von der Krankheit ihrer erwiderten Liebe: der heiligen Liebe. Vom Absturz des Bildes bleiben – in der Ecke einer Leinwand – im Grunde nur ein Fuß und ein Bein intakt (Frenhofers Fuß), da, wo inzwischen die einzige Ordnung im Gegenstandslosen selbst besteht. Es ist nicht möglich, das Unaussprechliche zu sagen, ohne zuvor auf die Mittel des gemeinen Redens verzichtet zu haben. Die Sprache schwört sich selbst ab, ebenso wie die Form. Selbst die Apokalypse kommt zum Stillstand. Das Jüngste Gericht bleibt kurz vor der Orgie stecken. Und das, was wir euch daraus interpretieren, ist etwas, was nie zuvor erzählt wurde.

NSamori Ausstellung 3

Die Strapaze, das Blutbad anzurichten, überlässt Samorì – der Bild-Massakrierer – hier ausnahmsweise einmal seinen Kreaturen. Leichtfertig sekundiert er eine willkürliche, unkontrollierte Keimung der (aus dem Überhang eines Traums oder aus einem symbolischen Abgrund herausgetretenen) Körper und begünstigt, indem er sie zum Kuss einlädt, ihre Metamorphose. Er wirkt auf ihr Libido-Potential ein, indem er es aufs Maximum beschleunigt. Die malerei wie das fleisch. Wie das Fleisch, wie die Geschlechter rufen sich auch die Gemälde. «Und ich will nicht mehr ich sein!»4 Zerrissenes Echo des zum Clinch bereiten Geliebten. End-Schrei des Bildes kurz vor dem Fall, bereit, zum Urzustand aus Licht – Fleck – Farbe zurückzukehren. Hauch des Mystischen oder des Wahnsinnigen, bereit, die Grenzen der Formen zu durchbrechen, bereit, sich wieder in die Umarmung zu werfen, die uns entgrenzt und wieder in den blendenden Traum vom Ursprung einschließt.

Luigi Sebastiani
(Aus dem Italienischen von Sabine Heymann)

1 Jules Laforgue, Dimanches (Des Fleurs de bonne volonté).
Genesis.
3 Elsa Morante, Aracoeli.
4 Guido Gozzano, La signorina Felicita.

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