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Karl-Heinz Adler
systeme/systems
Galerie EIGEN + ART Berlin
13. Oktober - 19. November 2016

KHAdler_Einladung

 

Sprung in den Raum

Die ersten Bilder, mit denen sich Karl-Heinz Adler Ende der fünfziger Jahre als konkret-konstruktivistischer Künstler neu erfand, waren Collagen. Der Künstler arrangierte geometrische Grundformen wie Dreiecke, Kreisausschnitte, rechteckige Streifen oder Quadrate aus Papieren in gedämpften Grau-, Blau- oder Ockertönen zu regelmäßigen Ordnungen auf einfachem Karton. Diese frühen „Schichtungen“ – so nennt sie der 1927 in Remtengrün/Vogtland geborene Adler – erinnern an ausgefeilte geometrische Choreografien. Dreiecke schieben sich in exakten Formationen ineinander oder fächern sich in strengen, symmetrischen Ordnungen auf. Form und eine reduzierte Farbpalette (Adler beschränkte sich strikt auf zwei Grundfarben pro Bild) verschmelzen zu einer klaren ästhetischen Einheit. Diese Kunst beruhte auf einer praktischen Erfahrung. Adler, der damals noch Architekturstudenten an der Technischen Hochschule Dresden unterrichtete und mit seriellen Systemen experimentierte, hatte während seiner Lehrtätigkeit bemerkt, dass „durch die Schichtung einfacher geometrischer Elemente bei Beachtung bestimmter Gesetzmäßigkeiten unterschiedlichste Räume entstehen können, die eine imaginäre Wirkung ausstrahlen.“1 Diese Entdeckung ließ den Künstler fortan nicht mehr los: „Ich wollte die unterschiedlichen Möglichkeiten aufzeigen, die in der zugrunde gelegten Ausgangsform stecken. Mich interessierten die teils abgeschlossenen Ergebnisse einer Bewegung zwischen Anfangs- und Endpunkt sowie die teils offene, durch weitere Schichtung fortsetzbare Bewegung.“2 Eine Grundkonstellation wird in einer Reihe von Varianten durchgespielt. Das Produktionsprinzip der Schichtung in geometrischer Strenge ist auch in späteren Werkserien mit anderen Materialien und Techniken ein immer wiederkehrendes Motiv geblieben. In Adlers Anfang der Sechziger entstandenen zarten Schichtungen und Glasobjekten etwa fächern sich die Flächen in reizvoll diskret-poetischen Nuancen der Farbsättigung auf.

Konkretion, so erklärt die Kunstwissenschaftlerin und Autorin Britta Schröder, „ist ein Gestaltung generierendes Prinzip. Vom Künstler verlangt es in erster Linie den Verzicht auf die Verwendung gegenständlicher Vorbilder; intendiert ist die uneingeschränkte Realisation rein bildnerischer Gesetzmäßigkeiten.“3 In das von der SED vorgegebene Raster einer sozialistisch-realistischen Kunst passte Adlers geometrisch inspiriertes Werk nicht. Deshalb durfte seine Kunst in den Jahren der DDR im Grunde nicht – oder nur gegen große Widerstände der Behörden – öffentlich ausgestellt werden. Daher wird er mitunter zu den „Nonkonformen“ wie Carlfriedrich Claus (1930–1998) oder Hermann Glöckner (1889–1987) gerechnet. Mitte der Siebziger notierte der Künstler in sein Notizbuch: „Vier Faktoren sind für meine Arbeit bezeichnend:

1. Das Geheimnisvolle, speziell das Magische;

2. Das Rational-Geistige (das Konstruktive bzw. das Gesetzmäßige);

 3. Das serielle Prinzip;

4. Die praktische Anwendung ästhetisch-künstlerischer Erfahrungen [...].“4

Es gehört zur widersprüchlichen Geschichte der „Ostmoderne“, dass Adlers Ästhetik trotz aller Hindernisse – über den Umweg der „architekturbezogenen Kunst“ – die Alltagserfahrung vieler Menschen in den Großstädten der DDR prägte. Gemeinsam mit seinem Künstler-Kollegen Friedrich Kracht (1925–2007) hatte er sich 1960 der Produktionsgenossenschaft bildender Künstler „Kunst am Bau“ in Dresden angeschlossen. Als Produzenten eines erstmals 1968 präsentierten „Beton-Formstein-Programms für die plastisch-dekorative Wandgestaltung“ war das Duo Adler und Kracht sehr erfolgreich. Das „produzierende System“ basierte auf einem Baukasten von 12 modularen Grundformen, circa 60 mal 60 Zentimeter groß, deren plastische Ausbildung auf einer Linearführung beruhte, welche „jede vertikale, horizontale, diagonale, geschwungene oder gestreut ornamentale Anordnung“5 zuließ. 1970 ging das Formsteinprogramm beim Berliner VEB Stuck und Naturstein tatsächlich in die Produktion.

Für den Berliner Architekturkritiker Niklas Maak gilt dieser angewandte Aspekt im Werk Adlers als Beispiel für „eine deutsche Kunstgeschichte, die außerhalb der Museen stattfand“ und einen „viel größeren Einfluss auf das Lebensgefühl, die Ästhetik ihrer Zeit gehabt haben dürfte.“ Denn im Grunde, so argumentiert Maak, sei hier „die Minimal Art wieder dort“ gelandet, „wo einer ihrer Ursprünge lag – in der seriellen Architektur.“ Dank Adler, so Maak, „warteten, trafen, küssten“ sich „die Bewohner der neuen ostdeutschen Trabantensiedlungen [...] in Op-Art aus Beton“.6 Auch wenn ein großer Teil dieser Formstein-Artefakte mittlerweile schon wieder abgerissen oder überwuchert ist: Die Bilder ornamentaler Beton-Flächen, die als Trennwände im öffentlichen Raum fungieren, als Fassadenelemente dienen oder sich zu dekorativen Säulen türmen, werden heute aufgrund ihrer zeitlosen Erscheinung tausendfach unter Modernismus-Enthusiasten im Netz geteilt.

In seiner Kunst hat Adler das Grundprinzip der Serialität sowohl in der Linie wie in der farbigen Fläche immer weiter vorangetrieben. Mit seinen in der zweiten Hälfte der Sechziger entwickelten „Seriellen Lineaturen“ radikalisiert er das Spiel mit der reduzierten Form und der räumlichen Täuschung. Als Betrachter wird man förmlich in seine Illusionsbilder hineingesogen. Ab den neunziger Jahren beginnt noch einmal eine intensive Auseinandersetzung mit Farb-Schichtungen, in welchen die einstige geometrische Strenge mit einer malerischen Geste kombiniert wird. „Auf einem Malgrund, naturfarben, d.h. Leinwand, Pappe, Papier, Pressspan, Holz, usw., wird in flockiger Malweise mit dem Pinsel weiße Farbe aufgetragen. So entsteht ein Bildträger – quasi ein Trampolin des Lichtes –, welcher den späteren lasierenden, mehrfach geschichteten Farbauftrag valeurreich atmen lässt und feinste Differenzierungen ermöglicht. Er unterstützt den Schattenbereich der Farbe.“7 Kunst ist für Adler „verfeinerte philosophische Weltbetrachtung mithilfe bildnerischer Mittel“8, die sich zum einen aus den vom Künstler „erkannten und gedeuteten Gesetzen der Naturerscheinungen“ ableiten lässt und andererseits selbst zur „geistigen Ordnung der Welt“ beiträgt. Das ästhetische Universum Adlers ist dabei keines, das sich selbst genügt. Ganz im Gegenteil. Als ausgeklügelte Suchmaschine zur Welterkenntnis zielt sie immer auf ihr Gegenüber, ihre Betrachter und Benutzer.

 Text von Kito Nedo

1 Adler, Ingrid (Hg.): Karl-Heinz Adler. Erlebtes – Gedachtes – Geschriebenes. Eigenverlag, Dresden, 2015, S. 36.
2 Ebd.
3 Schröder, Britta: Konkrete Kunst. Reimer, Berlin, 2008, S. 16.
4 Kowalska, Bozena: Adler. Auf der Suche nach Ordnung und Raum. Philo Fine Arts, Berlin, 2004, S. 158.
5 Adler und Kracht: Betonformsteine. In: Form + Zweck, 2/1972, S. 32.
6 Maak, Niklas: Deutsche Kunst nach 1945: Wie sie wurde, was sie ist. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.01.2009, S. 27.
7 Adler, Karl-Heinz: unveröffentlichtes Manuskript (ca. Anfang 2000). In: Adler, Ingrid (Hg.): Karl-Heinz Adler. a.a.O., S. 123.
8 Ebd., S. 122.

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