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Annelies Štrba
IKONEN. Arbeiten 1977 - 2017
Galerie EIGEN + ART Leipzig
Ausstellung: 17. Februar - 31. März 2018

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Schamanin der Fotografie oder vom Sprung in die Farbigkeit

Fotografiert hat Annelies Štrba seit ihrer Jugend, von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde sie mit ihren Bildern erst ab 1990 mit einer Ausstellung in der Kunsthalle Zürich, da war sie 43 Jahre alt. Bereits in den achtziger Jahren hat Annelies Štrba zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dem Künstler und Schmuckgestalter Bernhard Schobinger, Publikationen mit schwarzweißen Fotografien von Modellen herausgegeben, und schon damals waren es ihre Töchter Sonja und Linda, welche die von Schobinger gefertigten Schmuckstücke und Objekte trugen. 1990 war ihr Fokussieren auf die eigene Familie zwar nicht vollkommen neu, dieses subjektive Bekenntnis, ausgehend von einer privaten und intimen Kosmogonie, war aber in der Kunst – seit dem Tod Joseph Beuys' einige Jahre zuvor – durch andere Tendenzen überdeckt worden. Natürlich gab es bereits Maler, die intime Momente ihrer Verwandtschaft festhielten, doch sind die Übertragungsprozesse, die in der Malerei vom Modell zum Bild führen, hürdenreicher als bei der direkten, beinahe spiegelbildlichen Konfrontation durch die Fotografie.

„Wenn ich auf den Auslöser drücke, schließe ich die Augen." Steckt in diesem Zitat von Annelies Štrba nicht einer der Schlüssel zu ihrer Kunst? Mit dem Zitat rekurriere Annelies Štrba, wie es Ilma Rakusa beschreibt, „auf eine ‚Blindheit', die sich dem Zufall überlässt – vertrauensvoll, unarrogant, unmanipulatorisch. Jetzt. Der richtige Augenblick? Der Moment steigt auf, im fahrenden Zug, im fahrenden Bus, zwischen Tür und Angel, im Gehen. Jetzt. (...) Die Unschärfe bringt diese Bilder zum Beben, keine Fixierung, sondern Resonanz, beseelter Taumel. Die Ahnung zählt hier mehr als das Wissen, die Emotion mehr als das Auge." Schließt nicht jeder, innerlich, die Augen, wenn er auf den Auslöser drückt? Aus Schreck vor dem klickenden Geräusch, in der Hoffnung auf das Kommende, weil man beim Zielen das Motiv nicht sehen will. Man spricht ja metaphorisch vom Schießen eines Bildes, man drückt ab, so wie man es auch mit einer Pistole tut, und man fängt ein Motiv ein. Kurioserweise gibt es gar die Erfindung der Revolverkamera. All dies hat mit einer Art Übergriff zu tun, man bemächtigt sich des Motivs, dominiert und manipuliert es auch zeitweilig und dieses verliert dadurch seine Unschuld, wird zum festgehaltenen Objekt und dies auf einem Stück Papier, das zukünftig auch als Beweismittel dienen kann. Will Annelies Štrba nicht sehen, was sie aufnimmt, weil dadurch der Zauber entschwindet, weil sie intuitiv weiß, was wir sehen werden, oder weil sie jedem Bild unvoreingenommen und neu begegnen will? Mir scheint, als müsse sie gar nicht durch den Sucher blicken, als agiere sie wie ein Medium unter dem Einfluss höherer Kräfte.

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Doch die meist schwarzweißen Bilder von Annelies Štrba, die rasch im kollektiven Gedächtnis zahlreicher Kunstinteressierter sesshaft geworden sind, leben nicht allein von diesem Moment des Unbewussten und Auratischen, es ist auch die Verletzlichkeit des Privaten, die sie zu etwas Besonderem macht. Viel lässt sich über den biografischen Kontext entschlüsseln, deshalb wird ihm in den Bildern so viel Platz eingeräumt, und vielem „wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben", wie Hermann Hesse, der auch zu Štrbas atmosphärischem Umfeld gehört, in seinem Gedicht „Stufen" schreibt. Auch wenn wir ganz nahe dran, beinahe in der Familie drin stehen, wissen wir recht wenig Persönliches von Sonja, Linda, Samuel-Maria, Indira und Shereen. Sie bleiben vertraute Unbekannte.

Ab 2002 verändert sich das Werk von Annelies Štrba hin zu farbigen Bildern. Bis heute entstehen Serien wie „Nyima", „Brontë", „Frances und die Elfen", „Mountains" und „Madonnen". Unter dem Titel „My Life Dreams" schafft sie eine neue Welt, das gleichnamige Buch dokumentiert diesen Kosmos. Es sind nicht nur die Farben, besonders in „Nyima" und „Frances und die Elfen" ist es eine neue Art des Erzählens, die sich in diesen Arbeiten zeigt. Es ist eine Märchenwelt, in der nicht mehr ihre Kinder, sondern ihre Enkelkinder die Protagonisten sind. Sie setzt sie wie Elfen und andere Naturgeister in überdimensionale Blumenwiesen, auf Waldlichtungen oder fliegende Teppiche. Was wir sehen, amalgamiert sich aus unterschiedlichsten Quellen: die Faszination für bewusstseinsverändernde Zustände, die Trance-Musik, die Annelies Štrba in eigenen Videos (eine Affinität zum bewegten Bild und damit zum Film ist schon in den frühen Arbeiten spürbar) einsetzt, das Interesse an der Rave-Bewegung, die in den 1990ern begann und viel gemeinsam hat mit der Psychedelic-Bewegung der 1960er Jahre. Wie John Hutchinson schreibt, teilen sich beide „das Verlangen, aus der alltäglichen Realität, von der Isolation und dem Fehlen der Gemeinschaft in der heutigen Welt zu entfliehen, sie teilten auch den körperlichen Sinn der Transzendenz". Doch es wirken auch hier die Kräfte ihrer eigenen Aufenthaltsorte: ihr Interesse am Werk des Schweizer Künstlers Otto Meyer – der später den Ort Amden, an dem er sich so lange aufhielt, in seinen Namen aufnahm –, dessen ätherische Figuren ihre Vorläufer im Symbolismus des 19. Jahrhunderts haben. In Amden hat sie ein Atelier, auch in Ascona hat sie eines, unweit des Monte Verità, dem Berg, auf dem sich Anfang des 20. Jahrhunderts die unterschiedlichsten Anhänger zahlreicher Erneuerungsbewegungen niederließen, um ein immenses Potential von Utopien und neuen Lebensentwürfen umzusetzen. Es ist ein Zustand der Verzauberung und der energetischen Mystik, der von diesen Orten nach wie vor ausgeht und den uns Annelies Štrba präsentiert. Hutchinson erklärt dazu: „In einer anderen Kultur wäre sie möglicherweise eine Schamanin gewesen, die ihren physischen Körper von Zeit zu Zeit verlässt und zu anderen Ebenen der Realität fliegt, um mit den verborgenen Problemen der materiellen Welt umzugehen."

In ihren 2004 entstandenen Bildern geht sie allerdings noch einen Schritt weiter. Sie setzt ihre Figuren so in die Landschaften, dass der Eindruck eines magischen Vorgangs entsteht, so als würde uns tatsächlich ein feenhaftes Wesen begegnen, das über den Blumen auf den Wiesen zu schweben scheint. Es sind Figuren, die sich in ihrer Transzendenz materialisieren und durch ihre Offenheit und Nahbarkeit eine verführerische Komponente in die Bilder bringen. Wer hier an eine Virtuosin der technischen Bildmanipulation denkt, irrt. Annelies Štrba sagte in einem Gespräch: „Ich muss noch erwähnen, dass ich keine Handwerkerin bin, da bin ich sehr schlecht. Fotografin lernte ich wegen der Magie. Mich faszinierte es, ein weißes Blatt im Dunkeln in eine Flüssigkeit zu tauchen, auf dem dann langsam ein Bild sichtbar wird. Heute ist es genauso. Ich male mit Licht, mit dem Stift und dem Tablet und auf dem Bildschirm ‚erscheint das Bild', das ich im richtigen Moment stoppe. Das Wort Computer mag ich nicht, nur ‚Bildschirm'." Aber die Reise dieser ruhelosen und doch so in sich gekehrten Künstlerin geht weiter. Auf die Frage, woran sie arbeite, schreibt sie: „Ich möchte den geheimnisvollen Koffer in mir immer weiter öffnen – in eine wunderschöne magische Zeit."

Simon Baur

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