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Marc Desgrandchamps
Die blaue Stunde
Galerie EIGEN + ART Leipzig
Ausstellung: 18. Mai - 22. Juni 2019

Leipzig_2019

Zum Verständnis der Malerei von Marc Desgrandchamps erscheint es unabdingbar, sich das Gefühl bald endender Ferien zu vergegenwärtigen. Dieses Gefühl entsteht aus den Küsten- und Berglandschaften heraus, die sich auf vielen Bildern des französischen Künstlers entfalten.

Jeder, der einmal Zeit an ähnlichen Orten verbracht hat, kennt das schmerzhafte Bedauern im Moment der Abreise. Der Blick möchte noch ein wenig länger verweilen; er wird intensiver, um die Beschaffenheit dieser Orte, von denen man sich bald losreißen muss, tiefer in die Erinnerung einzuschreiben. In den letzten Zügen des Sommers kommt das unangenehme Gefühl auf, sich nur temporär losgelöst zu haben und nun bald wieder in den Alltag zurückkehren zu müssen.

Eine andere Formulierung für dieses besondere, begrenzte Zeitintervall – gleichsam passend für Desgrandchamps' Werk – stammt aus Éric Rohmers Film Die Blaue Stunde, dem ersten der Vier Abenteuer von Reinette und Mirabelle (1987). Die beiden Protagonistinnen begegnen einander auf dem Land und werden schnell Freundinnen. Um ihre Freundschaft noch mehr zu festigen, setzt sich Reinette in den Kopf mit ihrem Gast den besonderen Moment zu teilen, in dem das nächtliche Leben selbst schlafen geht und in dem es nur noch einen Augenblick dauert, bis die Tierwelt durch das Tageslicht geweckt wird. Die absolute, beängstigende Stille dieser kurzen Zeit des Übergangs von Nacht zu Tag nennt sie "die blaue Stunde".

Diese Zeitspanne wird bei Desgrandchamps in seinem Gespür für den zarten, prekären und flüchtigen Augenblick zum Inbegriff für das, was ihm vertraut und wichtig ist – zu seinem malerischen Anliegen.

Sollte die Welt untergehen, würde sich das Unglück Reinette zufolge genau in diesem Moment des Dazwischen ereignen. Diese Überzeugung könnte Desgrandchamps in seinen Bildern beeinflusst haben. An vielen Stellen überlagern sich hier beunruhigende Zeichen, Bruchstücke, bedeutsame Fetzen, die die Normalität, die auf den ersten Blick aus den dargestellten Situationen hervorgeht, angreifen oder nahezu zerstören wollen. Diese unbestimmten Motive haben einen destabilisierenden Effekt auf das Dargestellte und belegen jegliche Betrachtung mit einer Art latenten Unruhe. Dennoch: Die daraus resultierende Spannung stört die Gelassenheit der Figuren keineswegs, sie strahlen weiterhin Entspannung und Unbesorgtheit aus.
Der Sommer wird jedoch bald vorüber sein, er verblasst und verewigt sich dabei gleichzeitig unter einem Schönwetterhimmel, was die Stunde des Abschieds noch grausamer macht. Wir müssen uns entschließen zu gehen und die mitschwingende Melancholie vertreiben, die jedem zu kurz erlebten Glücksmoment innewohnt.

Text von Pauline Nobécourt
Übersetzung aus dem Französischen von Lucia Schreyer

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