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Ausstellungsansicht, Galerie EIGEN + ART Berlin 

 

Jörg Herold - Der Dokumentararchäologe im Land der beschleunigten Folklore
Galerie EIGEN + ART Berlin
24.01.2009 - 21.03.2009

In seiner Funktion als Dokumentararchäologe wie Jörg Herold sich selbst nennt, verfolgt der Künstler Mechanismen des Gedenkens, Sicherns, Speicherns und Recherchierens. Als Ergebnis von Reisen zu realen und imaginären Orten der Erinnerung entstehen so Aktionen, Filme, Installationen und Zeichnungen, die den Fokus auf das kulturelle Gedächtnis und das Erstellen historischer Querbezüge legen.

Anhand von 30 Motiven ethnographischer sowie ethnologischer Vorlagen und historischen Dokumenten wie Reiseberichten hinterfragt Herold in dem fiktiv geschaffenen „Land der beschleunigten Folklore" mit kritischem Blick das Fremde und Unbekannte. Die vor diesem Hintergrund entstandene Installation kombiniert die Medien Malerei, Skulptur und Film. Dabei wird die Petersburger Hängung der Leinwände, die sich durch beide Ausstellungsräume zieht, von einer Sammlung von Stalaktiten und Bergmassiven gebrochen. Die archaisch anmutende Bergwelt wird auf hölzernen Konsolen präsentiert und zeigt unter anderem den Ararat, der heilige Berg der Armenier und Landungsort der Arche Noah. 
Im vorderen Teil der Ausstellung kommentiert Herold mit der Arbeit „Vitrinensturz" die Schädelästhetik des Göttinger Professors Johann Friedrich Blumenbach aus dem 19. Jahrhundert. Nach dessen Lieblingsschädel, dem einer Georgierin, ordnete Blumenbach den Mitteleuropäern eine bevorzugte Stellung zu. Zentral im Eingangsbereich hängt die Skulptur „Stalins Rache". Hinter dem Objekt, dessen Titelgeber einer der berüchtigsten Diktatoren der Geschichte war, befindet sich die pastose Zeichnung des „Fadenhalters", die sich an „das Heimweh" von Jung Stilling anlehnt. Diese Publikation begleitete zahlreiche deutsche Auswanderer des 18. Jahrhunderts und beschreibt die 2. Zukunft Christi im Land Solyma im Kaukasus. In dieser Gegenüberstellung verweist Herold auf verschiedene Formen von Identität im lokalen und globalen Kontext, Aspekte der Gewalt und ihre Auswirkung auf Natur und Landschaft.
Eine zentrale Aufgabe des Dokumentararchäologen ist, die Möglichkeiten der Erinnerung für die Zukunft aufzuzeigen und in dem Konflikt zwischen Ästhetik und Ethik der Darstellung hervorzuheben. So thematisiert der Film „Steinmeiers Erben" im hinteren Ausstellungsraum aktuelle Reisen des Außenministers, die ihm ein offizielles Bild europäischer Randregionen vermitteln sollen und schlägt somit die Brücke zu dem in den vorderen Raum ragenden „Des Nachbars Zaun", der von der europäischen Grenzversetzung in das Östliche zeugt. 

Jörg Herold strebt als Zeitzeuge eine Erinnerungspraxis an, die mittels der künstlerischen Medien Installation, Malerei, Skulptur und Film die konservierte Zeit für kurze Momente verflüssigt. Da fließen in feine Fäden geschnittene Reiseberichte aus dem Zaun, neben ihm ein Loch, das die Struktur der Wand auflöst, die rythmische Reihung der Leinwände wird gebrochen durch die groben Formen der aufgesockelten Berge. So gerät das Dokumentierte in Bewegung und die Installation wird zu einem liquiden Erinnerungskonzentrat der Reise des Dokumentararchäologen in das Land der beschleunigten Folklore. 

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