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natura nova, Formationen (10/02/3-1), 2010 weitere Arbeiten
56 x 65 cm
Auflage: 3

 

Ricarda Roggan
natura nova
Galerie EIGEN + ART Berlin
8. Mai 2010 - 26. Juni 2010

In Fortführung und Erweiterung ihrer Serie Baumstücke wendet sich Ricarda Roggan mit ihren neuen Arbeiten, zusammengefasst zu einer dreiteiligen Werkgruppe unter dem Titel natura nova, einem der ehrwürdigsten Sujets der Bildenden Kunst zu - der Landschaftsdarstellung. Aber schon bei oberflächlicher Betrachtung wird klar, dass solch vorschnelle kunsthistorische Verortung nicht weit trägt: weder von Landschaft im traditionellen Sinne noch von Darstellung kann hier die Rede sein; treffender wäre es, diese Fotografien mit Rekurs auf Alexander von Humboldts berühmtes Werk als Ansichten der Natur zu begreifen. Denn in der Konzentration auf einzelne Naturphänomene - Wolkenbildungen, Gesteinsformationen, Vegetationsstrukturen, die aus ihrem ›natürlichen‹ und das heißt hier: landschaftlichen Sinnzusammenhang herausgelöst werden, zeigt sich ersichtlich ein zu gleichen Teilen ästhetisches wie naturwissenschaftliches (genauer noch: naturphilosophisches) Interesse. Im Mittelpunkt aller Bilder steht allein das jeweilige Objekt, das auf seine eigentümliche Beschaffenheit hin betrachtet wird, auf seine spezifische Organisation und Organizität. Dieser von ästhetischen Ansprüchen getragene gleichsam protowissenschaftliche Blick knüpft an eine Zeit an, für die die innere Ordnung der Natur noch unablösbar war von ihrer ausschließlich ästhetisch vermittelten äußeren Erscheinung. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit dem rasanten technischen Fortschritt und der Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften (und nicht zuletzt unter Zuhilfenahme der Fotografie) vollzog sich endgültig die strikte Trennung von wissenschaftlicher und ästhetischer Naturbeschreibung, die eine Vorgehensweise wie diejenige Ricarda Roggans aus heutiger, nicht nur wissenschaftlicher Sicht als anachronistisch erscheinen lässt. Aber dieser vermeintliche Rückschritt ist vielmehr ein Rückgang, der versucht, die eingespielte Arbeitsteilung von Naturwissenschaft und Kunst zu durchbrechen, die in der eigennützigen Beherrschung ihres Gegenstandes stillschweigend übereinkommen, um ihn als Mittel für ihre Zwecke zu gebrauchen.

Ricarda Roggan begibt sich mit den Mitteln der Kunst dahin zurück, wo die Wissenschaft einmal angefangen hat: beim Staunen über die Formenvielfalt der Natur, die sich plötzlich nicht mehr von selbst verstand, sondern einer menschlichen Ordnung zu bedürfen schien. Dieses anfängliche Staunen darüber, wie etwas aussieht, wie es beschaffen ist und wie es sich darbietet, ist noch zu spüren im hinwendenden Blick der Künstlerin zum einzelnen Objekt, dessen besondere und absonderliche, nicht taxierbare Eigentümlichkeit - oder Eigenwilligkeit - sich schematisierender Typologisierung entzieht. Doch ist dieser Blick getrübt: durch die Erfahrung und das Wissen, dass es kein unmittelbares „Zurück zu den Sachen", keinen unschuldigen Blick auf sie mehr gibt, so wenig wie ein schuldloses „Zurück zur Natur". Deren Versehrtheit im Zeitalter ihrer fortlaufenden Zerstörung klingt hier zwar nur von ferne an, ist aber dennoch in jedem Bild präsent, allein schon durch die fotografisch-apparative Zurichtung des Objekts, die selbst ein „Equivalent" ist der Zurichtung der Natur durch die verschiedenen (industriellen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen) Apparate. Zumal im Blick in (bzw. auf) die Wolken artikuliert sich die Absage an eine romantizistische Verklärung der Natur, sei es nun im Idyllischen oder Ruinösen. Und nur im Blick auf die Wolken, auf das Enthobene und Entzogene schlechthin, scheint eine solche Absage überhaupt noch sinnvoll möglich. Die Verklärung der Natur reduziert sich hier auf die Verunklärung (Trübung) des Himmels in Gestalt der jeder haltbaren Ordnung entbehrenden, fluiden Wolkengebilde, durch die das erscheinende Licht - Quintessenz der Fotografie - sichtbar wird erst in seiner ätherischen Verschleierung.

„Neu" im landläufigen Sinn des Wortes ist diese natura nova gerade nicht - neu ist vielleicht nur das Zurückgehen auf einen alten Begriff der Natur, der sie noch nicht im Griff hat und der in ihr eine Ordnung sucht, der er sich selbst verdankt. (Text: Falk Haberkorn)

 

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