Ausstellungen

Aktuell

Karl-Heinz Adler
Raum und Ordnung
21. November 2024 – 18. Januar 2025

Faltblatt zur Ausstellung

2016 führten Hans Ulrich Obrist, einer der wichtigsten Kuratoren, Kunsthistoriker und -wissenschaftler unserer Zeit, und der Konzeptkünstler, Maler und Grafiker Karl-Heinz Adler ein ausführliches Interview. Auch oder gerade heute ist das Werk Adlers nach wie vor relevant und verdient einer genaueren Betrachtung. Über seinen Werdegang, sein Schaffen und einzelne konkrete Beispiele seiner Arbeit wird im Folgenden besprochen. Das Gespräch ist eines der letzten so umfassenden und tiefergehenden Interviews, die Karl-Heinz Adler vor seinem Tod im Jahr 2018 geführt hat. Hans Ulrich Obrist traf Adler dazu in seinem Atelier in Dresden.

Obrist: Sie haben dieses Atelier selber gebaut?
Adler: Selber gebaut, gewissermaßen auf genossenschaftlichem Boden. Das war eine Kooperative von Künstlern, die den Wunsch hatten, etwas wie das Bauhaus aufzubauen.
Obrist: Eine Utopie?
Adler: Und zwar eine große Utopie: hier im Osten so etwas zu versuchen. Das ist dann über die Jahre mal mehr, mal weniger gut gelaufen. Obwohl sich eine Reihe der Künstler angepasst hat, sind wir dabei ganz gut weggekommen, denn wir konnten im eher Verborgenen reagieren.
Obrist: Und seit wann sind Sie hier?
Adler: Ich war von Anfang an mit dabei. Ich war auch zwei Jahre der Vorsitzende. Wir haben damals in der DDR versucht, ein bisschen Unruhe zu machen, Wellen zu schlagen. Aber das war natürlich nicht möglich, so richtig in Gang ist es nicht gekommen. […]
Obrist: Wie kamen Sie zur Kunst? Gab es da eine Epiphanie?
Adler: Das ist ziemlich einfach. Ich war anfangs ein sehr schlechter Schüler in der Schule und bin bei den Lehrern immer angeeckt. Habe meine Possen getrieben. […] Und dann kam die Suche nach einem Beruf. Ich sollte Schlosser oder Elektriker werden, kein Musikinstrumentemacher. Mein Vater sagte: „Das darfst du nicht!“ Ich konnte aufgrund meiner schlechten Zeugnisse nicht Elektriker und Schlosser werden, und weil ich Schweißhände hatte. „Dann wird der Kerl mal in der Elektroleitung hängen und das wollen wir nicht.“ Und 14 Tage vor Ostern, vor dem Ende der Schule, hatte ich keinen Beruf, keine Lehrstelle. Eines Tages stand in der Vogtländischen Zeitung, es seien noch Musterzeichnerlehrlinge gesucht. In Oelsnitz im Vogtland, bei der Teppichfirma Koch & te Kock. Und da fragte mein Vater: „Willst du nicht sowas versuchen? Du hast doch immer gerne gezeichnet.“ Ich bin dort hingegangen, die haben uns was zu zeichnen gegeben und sagten:
„Wenn Sie fertig sind, kommen Sie in einer Woche wieder vorbei.“ Das habe ich gemacht. Dann legten sie die Sachen hin und sagten: „Naja, wir wollten Ihnen eine Chance geben. Wir dachten, Sie machen das alleine, Sie können das doch nicht jemandem geben, der es für Sie zeichnet.“ Da war ich natürlich böse und sagte: „Ich habe das selbst gemacht!“ […]
Jede Berufsausbildung bringt eigentlich einen großen Nutzen für den, der sie durchsteht. Er muss genau arbeiten, lernt seinen Tag einzuteilen. Er muss die einfachsten Dinge machen, um Ordnung in seinen Kopf und natürlich auch in die Arbeit zu bringen. Und schon ist das unheimlich wertvoll, man kann das später immer wieder gebrauchen und einsetzen. […]
Obrist: Wann ist Ihr erstes abstraktes Werk entstanden?
Adler: Das kann man gar nicht so richtig sagen. 1957, als die ersten Collagen entstanden.
Obrist: Wie kam es dazu?
Adler: Ich hatte in Dresden in der Architekturabteilung, bei einem Professor Langner, einem Bildhauer, eine Assistentenstelle bekommen. Der wollte, weil er so viele Studenten hatte, eigentlich einen Mann haben, der ihm hilft, Aktzeichnen und Plastik zu lehren. Bauplastik hieß das.
Obrist: Dann entstanden auch Ihre ersten Collagen?
Adler: Dann habe ich angefangen, selber Versuche zu machen. Da sind erste Sachen entstanden, nicht gleich auf einmal, peu à peu.
Obrist: Und wie kam es zu der Idee der zwei Farben, zwei Formen?
Adler: Das haben wir in der Lehre beim Teppiche herstellen gelernt. Es ging darum, mit so wenig Formen und Farben wie möglich auszukommen. Das habe ich wohl auf meine frühen Collagen übertragen. Die Collagen sind auf zwei Farben, den Nichtfarben Schwarz und Weiß, aufgebaut, und die ersten Arbeiten in Grau und Schwarz entstanden. Mit der Malerei ist es wieder eine andere Geschichte. […]
Obrist: Können Sie uns Ihr Vorgehen erklären?
Adler: Ich beginne mit dem Format. Das Format wird an den Rändern in Höhe und Breite aufgeteilt. Eins, zwei, drei, vier horizontal, eins, zwei, drei, vier vertikal, dann werden die Punkte verbunden. Vorher lege ich, wenn ich will, eine grau-weiße Farbigkeit auf und erhalte den Duktus. Dann nehme ich zwei Farben und die schichte ich: einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal, sechsmal, siebenmal. Und dann gegenläufi g: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Dann habe ich mein Ziel – die Nuancierung der Farbfl äche – erreicht. Die so gewonnenen Farbräume werden auf der Grundlage des Netzwerkes gesetzmäßig zerteilt und neu formiert, indem ich die Strukturteile zu in Form und Farbe unterschiedlich spannungsvollen objekt haften Bildern von organischer Gesetzmäßigkeit füge, wie wir es in analoger Weise aus Naturerscheinungen kennen.
Obrist: Durch die Zerteilung der Fläche entsprechend dem Raster und die Neuformierung dieser Teile entstehen vielfältigste Bildformen, die immer organisch und proportional sind. […]
Sie zitierten einmal den polnischen Künstler Henryk Berlewi, der heute auch vergessen ist: „Mit Hilfe der Mechanisierung und der malerischen Ausdrucksmittel bedeutet nicht die Automatisierung des Schaff ensprozesses, sondern im Gegenteil, durch die Mechanisierung wird eine größere Freiheit erreicht.“ Können Sie zu dieser Freiheit durch die Mechanisierung noch etwas sagen?
Adler: Man muss sich klar machen, was man mit den einfachsten Mitteln erreichen kann und was man erreichen will, und diese beiden Dinge muss man aufeinander einspielen. Das ist wie in der Familie, man hat dann Kinder in die Welt gesetzt.
Obrist: Das ist eine schöne Analogie zum Leben. Und wenn die Kinder das Haus verlassen, kann man das Leben auch nicht mehr kontrollieren.
Adler: So ist es.
Obrist: Dann gehen sie in ihr eigenes Leben, und so ist es vielleicht mit der Kunst auch.
Adler: Ein bisschen vielleicht. Kommt darauf an, wie man es betrachtet. […]
Obrist: Ab 1960 kam es zur Zusammenarbeit mit Friedrich Kracht. Sie haben 1960 begonnen, mit ihm zu arbeiten?
Adler: Ich habe bis zu seinem Tod mit ihm gearbeitet und ein sehr gutes Arbeitsverhältnis gehabt.
Obrist: Und mit ihm zusammen haben Sie dann neue Materialerfindungen gemacht. Sie haben pneumatische Beschichtungsverfahren erfunden. Wie funktionierte das?
Adler: Es ging darum, etwas mit Luftdruck an die Wand zu werfen oder zu spritzen. Das geschah mit einem bestimmten Spritzgerät, mit Pressluft. Oben befand sich das Behältnis mit dem Spritzmörtel. Das haben wir für keramisches farbiges Granulat verwendet. […]
Obrist: Neben der Architektur und den gesellschaftlich angewandten Arbeiten gibt es in Ihrem Werk auch die Malerei, die wir bisher noch gar nicht erwähnt haben. Sie ist […] geprägt von den Schichtungen. Sie schichteten malerisch sehr viel in den 70er Jahren. Die Brunnen* sind dreidimensionale Schichtungen, aber in der Malerei gibt es die zweidimensionalen Schichtungen.
Adler: Ja, die sind oft zweidimensional und wirken dreidimensional. Vor allem durch die Transparenz. Ich habe auch viel mit Glas oder Folie geschichtet. Und letztlich auch mit Acrylfarbe, die die Tiefenwirkung im Bild schafft.
Obrist: Sie haben noch vieles andere geschichtet, auch Text. Wie kam es zu diesen Text-Schichtungen?
Adler: Die verschiedenen typografi schen Gestaltungen auf dem Papier sind sehr interessant für Gestalter und Künstler: Sie verwenden den Schriftsatz, um etwas aus ihm zu machen.
Obrist: Zunächst wurden Zeitungen, aber dann auch Papier geschichtet. Das ist interessant. […]
Wie kam es zu diesen seriellen Lineaturen? Die sind ja auch wichtig.
Adler: Ich habe über diese Lineaturen selber auch einiges geschrieben.
Obrist: Können Sie uns sagen, wie diese seriellen Lineaturen entstanden sind?
Adler: Ich wollte nichts anderes als dicht aneinander stoßende und weit auseinander laufende Schluchten schaffen, um verschiedene Tiefen zu bekommen. Das ist die ganz einfache Antwort. Es gibt kein Geheimnis, es ist alles ziemlich profan.

Zurück

Instagram