Kai Schiemenz
PRIEL
12. September – 9. November 2024
Übersicht der Arbeiten als PDF
Blick in die Ausstellung: Kai Schiemenz// Galerie EIGEN + ART Berlin 2024
Musik: Paul Ott
Interview mit Kai Schiemenz
EIGEN + ART: Bereits im letzten Jahr hast du einen Katalog mit dem Titel „Priel“ herausgebracht. Inwiefern beruht diese Ausstellung auf den in diesem Katalog beschriebenen konzeptionellen Ideen und wie werden sie inhaltlich weiterentwickelt?
Kai Schiemenz: Das Wort „Priel“ wird für die Beschreibung eines Wasserlaufs im Watt verwendet, der durch die Gezeiten entsteht. Teils ist er sichtbar und dann wieder bei Flut nur als Strömung unter der Meeresoberfläche wahrzunehmen. Priele sind Ausspülungen von sich immer weiter verzweigenden, mäandernden Flussläufen. Das ist erst einmal ein Bild, das mir gut gefällt: Ein Fluss, der ins Meer strömt und durch den Mond und dessen Anziehungskraft einen neuen Charakter erhält. Ähnlich verhält es sich bei meiner Arbeit mit Glas. Hier änderte ich die Arbeitsweise und damit wandeln sich die Parameter und das entstehende Werk. In diesem Sinne ist der Ausstellungstitel Programm und Fortsetzung dessen, was im Katalog „Priel“ angelegt ist.
E+A: Du sprichst das Material Glas an, mit dem du dich schon lange beschäftigst und das auch hier sehr präsent ist. Dieses Mal ist es in neuartige Formen gebracht, die selbst auf sehr ausdrucksstarken Sockeln ruhen. Und sie werden gemeinsam mit Skulpturen aus anderen Materialien gezeigt. Wie kam es zu dieser Veränderung bei deinen Arbeiten und was bedeutet sie für dich?
Kai Schiemenz: Die neuen Skulpturen sind aus Glas geblasen, anders als die früheren Arbeiten, die meist in Glas gegossen sind. Sie sehen, obwohl sie aus dem gleichen Material bestehen, völlig neu aus. Die Veränderung in der Methode lässt sich vielleicht mit einem Skilangläufer vergleichen, der sich entscheidet, in die Disziplin Abfahrtslauf zu wechseln, vielleicht weil er gelangweilt ist, vielleicht um etwas Neues auszuprobieren und seine Erfahrungen zu erweitern. Die Abfahrt ist dabei wesentlich schneller und die Zeit, bis er unten ankommt, recht überschaubar. Ähnlich verhält es sich beim Glasblasen: Die Geschwindigkeit bei der Umsetzung ist eine ganz andere als beim Guss, der oft Monate braucht. Hinzu kommt, dass ich kaum Erfahrungen in dieser neuen Arbeitsweise hatte, was gewisse Freiheiten schafft. Ich machte Dinge, die gemeinhin vermieden werden. Ich tat dies aus Unwissenheit und um der Logik der Herstellung zu entgehen. Vernünftig ist das vielleicht nicht. Aber Vernunft ist eben nicht alles.
E+A: Die Skulpturen, die dadurch entstehen, scheinen stark vom Zufall bestimmt zu sein. Auch können die Betrachtenden, was zum Beispiel ihr Gewicht betrifft, sie kaum einschätzen. Wie würdest du für dich das Ergebnis beschreiben?
Kai Schiemenz: Unvorhersehbar! Beim Glasguss ist das Modell essenziell und ein wesentlicher Teil des Werkes. Beim Glasblasen scheint es der Anlass zu sein. Das Wesen der Skulptur ist nun der Verlauf, der sich durch die rasche Abfolge von Entscheidungen herausbildet. Wenn „Priel“ eine Ausspülung ist, würde ich diesen Vergleich mit der Bewegung auf dem Wasser in einem Delta ergänzen. Wenn ich auf einem Schiff in Richtung Meer fahre, muss ich mich an jeder Verzweigung des Flussdeltas neu entscheiden. Ich kann auf dem Weg zum Meer den rechten oder den linken Abzweig nehmen. Das ist bei der Herstellung der Skulptur ähnlich: Ob ich rechts oder links langfahre, am Ende komme ich im Meer an, sofern ich nicht im Sumpf stecken bleibe. Es ändert sich bei jeder Abzweigung die Klangfarbe und Tonalität. Erst brummt sie, dann fängt sie zu knistern an und macht sich gemein, später wiederum ist sie schüchtern und zurückhaltend.
E+A: Du beschreibst, wie die Glasarbeiten im neuen Kontext zu sprechen beginnen: Welche Art der
Kommunikation gehen sie mit den Materialien der anderen Skulpturen ein? In welcher Verbindung stehen sie zueinander?
Kai Schiemenz: Der Beginn für die Ausstellung waren die in Glas geblasenen Skulpturen. Bei ihrer Herstellung entstanden Modelle in Styropor, Negativformen in Stahlblech und verschiedenste Derivate blieben übrig. Bruchstücke, die wieder Skulpturen wurden und in Verbindung zum Rest stehen. Styroporteile mit Löchern, Zylinder, die auf verunglückten Gussversuchen liegen. Für mich ist das eine Landschaft aus Versuchen – ein sehr romantischer Gedanke.