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Li Qing
Garden of MacGuffin
Galerie EIGEN + ART Leipzig
1. März – 19. April 2025
Eröffnung: Samstag, 1. März, 15 – 19 Uhr

Die Oberfläche des Brandenburger Tors ist in Bewegung. Es ist aber nicht die Oberfläche des Brandenburger Tors. Es ist eine Spiegelung im Wasser (auf den Kopf gestellt). Und es ist nicht das Brandenburger Tor. Es ist eine Nachahmung. Diese befindet sich im The New Yuan Ming Palace in der chinesischen Millionenstadt Zhejiang. Sie ist eine von vielen Attraktionen der weitläufigen, touristisch beliebten Parkanlage: Man begegnet unter anderem der Basilius Kathedrale vom Roten Platz in Moskau und der Opéra Garnier in Paris. Manche berühmten Gebäude sind zuweilen modifiziert und um dekorative Elemente ergänzt. So stehen vor den Säulen des „Brandenburger Tors“ zum Beispiel klassizistisch anmutende Skulpturen. Das tangiert die Besucher*innen der Anlage sicherlich wenig, wenn sie ihre Fotos und Selfies machen. Viel wichtiger ist, das architektonische Monument gesehen zu haben, es fotografisch festzuhalten, sich davor zu stellen.

Li Qing setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit Architektur und ihrem Verhältnis zum Menschen auseinander. Ihn interessiert die Ambivalenz zwischen der Außenwirkung von Architektur, ihrer äußeren Hülle, und ihrer wirklichen Funktion, sprich ihrer inhärenten, gesellschaftlichen Relevanz. Er arbeitet mit verschiedenen Medien: Malerei, Fotografie, Video, und Collage. Die Arbeit 《水法》 <Rules of Water>, 2025, ist eine neue filmische Arbeit, sie zeigt Szenen aus dem New Yuan Ming Palace. Man sieht eine Aufnahme einer großzügig angelegten, historischen Brunnenanlage. In Europa wie China galten aufwendig gestaltete Brunnen als Zeichen von Ingenieurskunst und Kunstfertigkeit, letztendlich um die Macht ihrer wohlhabenden Auftraggeber darzustellen. Die Brunnenanlage in 《水法》 <Rules of Water> weist europäische wie asiatische Elemente auf. Auffällig sind die vielen Tierfiguren, aus denen Wasserfontänen sprudeln. Die Tierfiguren finden sich in der Ausstellung auch auf kleinen Arbeiten auf Papier. Bestimmte Motive kehren in Li Qings Arbeiten unterschiedlich wieder.

In den zwei Szenen aus der Parkanlage spielt Wasser eine wichtige Rolle. Li Qing exzerpiert gleichsam zwei Architekturen aus diesem vollkommen künstlich angelegten Areal und verdeutlicht ihre Unwirklichkeit, indem er das Wasser zum Indikator für fließende Bedeutung und wandelnde Form macht. Das Brandenburger Tor, das selbst nicht einmal das Original ist, wird gar nur mehr als Spiegelung im Wasser gezeigt. Ähnlich, wenn auch im Medium der Malerei, verfährt Li Qing in der Arbeit 《冰山》 <Iceberg>, 2025. Hier verschmilzt die Glas-Kuppel des Berliner Reichstagsgebäudes, eine Ikone der modernen Architektur und Emblem der Demokratie, mit einem Eisberg. Das Bild ist eingerahmt in eine massive Holzstruktur, die ursprünglich ein Fenster war und von Li Qing ausgewählt und aufgearbeitet wurde. Die alte Idee vom Bild als Fenster zur Welt kommt auf, doch Li Qing zeigt weniger eine Abbildung der Welt. Vielmehr macht er uns auf die enge Verflechtung von Architektur, Ideologie und Ökonomie aufmerksam, indem er neue Konstellationen zusammenstellt. Architektur gibt allein durch Form, Größe, und Materialität viel Preis von der Gesellschaft, und vor allen ihren Machthabern, innerhalb derer sie existiert.

In einer Werkgruppe von Gemälden beschäftigt sich Li Qing mit zeitgenössischen, chinesischen Bauwerken. Sie zeigen ein hoch modernisiertes Land, das spektakuläre Gebäude von gigantischen Dimensionen baut. Besonders beliebt scheinen Globen, beziehungsweise runde Gebäude zu sein. In China gilt der Globus als höchst erstrebenswerte Form. Li Qing stellt eine Verbindung zwischen der Form und ihrer vielfachen Repräsentation in Werbung und Social Media her. In seinen Gemälden zeigt er im Zentrum architektonische Bauwerke, oftmals Aufnahmen von Hotels für Marketingzwecke, betitelt mit Hollow Form (Phoenix Island), 2023, oder Enjoy The Sea (Shimao Enjoy The Sea Apartments, Qingdao), 2024. Darunter, als zweite Ebene, malt Li Qing Ausschnitte aus Werbungen mit Menschen, die am Strand liegen, in künstlicher Körperhaltung posieren, oder auch zu zweit vor einem romantischen Sonnenuntergang stehen. Die beiden Bildebenen sind übereinander gelagert und vermischen sich nicht. Die Architektur überdeckt die Figuren darunter. Beide Motive sind der Wirklichkeit entrückt und gleichsam leere Hüllen, oder ganz nach Jacques Lacan, ein Versprechen des „Anderen.“

Li Qing verweist hier, nach Slavoj Žižeks weiterführender These zu Lacan, auf den Begriff des MacGuffins. Der Terminus wird vor allem im Film verwendet und beschreibt ein Objekt, das zentral für den Verlauf der Handlung ist, aber selbst keine weitere Rolle spielt. Beim Ausstellungstitel „Garden of MacGuffin“ kann man nun zunächst an die Parkanlage in Zhejiang denken, wo lauter leere Architekturhüllen in der Landschaft stehen. Li Qings vielseitige und reflektierte Arbeiten deuten aber auf eine weitere, konzeptuellere Anwendung des Begriffs: Womöglich sind die repräsentativen Architekturen unserer Zeit eine Form von MacGuffin, die als Hüllen den Schein einer Funktion für den Menschen haben, in Wirklichkeit aber nur mehr als digitale, beziehungsweise flaches/oberflächliches Bildmaterial dienen? Es ist die Sehnsucht nach einer sozialen, kulturellen, ja existenziellen Welt, die wieder mehr dem Menschen zugewandt ist, die sich in Li Qings Arbeiten so melancholisch wie humorvoll aufzeigt.

Dr. Kristina Schrei

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