Raul Walch
Agree to Disagree
12. Juni – 12. Juli 2025
Eröffnung: Donnerstag, 12. Juni, 17 - 20 Uhr
Raul Walch, Trailer zu "Every Tale Has Its Shadow" 2025
Kamera & Schnitt: Matthias Maercks, Miguel Buenrostro
Agree to Disagree
“Don’t get stressed by others” (Glückskeks, 29. Mai 2025, Florenz)
„Was kann man dieser Stadt noch hinzufügen?”, fragt mich der Künstler Raul Walch auf der Terrasse seines Studios in der Villa Romana in Florenz, der ältesten deutschen Künstlerresidenz, die in diesem Jahr seit 120 Jahren vor den Toren der Stadt KünstlerInnen beherbergt. Auf dem Tisch zwischen uns hängen Textilfetzen und flattern im Wind. Wir schauen auf das Tal der Renaissance Stadt. Walch hat ein Gespräch mit dem Erbe und Verflechtungen dieser Stadt begonnen, sich auf die Konfliktlinien, die Provokation, die Schwere der Stadt eingelassen. Vom Studio des Künstlers aus wirkt der Blick durch die Zypressen idyllisch: vom südlichen Teil der Stadt, dem Oltrarno, dem Jenseits des Flusses, klingt der touristische Trubel nicht mehr durch. Zu weit gen Siena ist die Villa, zu weit entfernt von den Boboli Gärten, vom Palazzo Strozzi oder den Uffizien. Das war so gewollt: Die Villa Romana entstand aus dem Konflikt mit der Schwere der römischen Klassik als Ursprung der westlichen Kunst, der Unüberwindbarkeit der Renaissance. Es ist der richtige Ort, um auf diese Stadt als Künstler zu schauen und zu sagen: „I would prefer not to”.
Diese Ausstellung spricht mit den Traditionen der Stadt Florenz aus einer besonderen Situiertheit. Walch ist an ihr vorbeigegangen, nach Prato: 20 km nordwestlich, seit dem Mittelalter eines der führenden Textilzentren Europas, Knotenpunkt im toskanischen Tal, ein Ort der vorglobalen Verflechtung. Internationale Unternehmen produzieren ihre Stoffe dort mit dem Label “Made in Italy” selbst wenn der Großteil der Textilien mittlerweile von chinesischen Arbeitern günstig produziert wird. Massenproduktion trifft auf Haute Couture. Wie der ubiquitäre und stets befremdliche Bambus, der sich in dichten und hohen Wäldern durch die Gärten der Toskana zieht, auch entlang der via Senese an der Villa Romana Ost-Seite, ist die Textilindustrie ein globalisiertes Mashup mit Wurzeln in der Renaissance und der industriellen Moderne.
Der Bambus, das “Holz der Armen”, technisch gesehen ein Gras, findet seit geraumer Zeit in Europa seinen größten Abnehmer. Gucci hat ihn durch dessen Gucci Bamboo 1947 Handtasche in die Textil- und Modeindustrie Italiens eingeflochten, als Antwort auf Produktionsengpässe in der Lederbranche nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber der Bambus ist spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert präsent. Im August 1917 preist Professor A. Fiori im Bullettino della R. Società Toscana di Orticultura die vielversprechende Zukunft dieser Pflanzen: funktional und doch ornamental. Deren erste Erwähnungen in den Registern der botanischen Gärten gehen in Florenz auf das Jahr 1806, in Rom auf 1836, in Venedig auf 1847 zurück.
Walch zieht einen weiteren Glückskeks aus der Tasche: „Be patient! Calming news is on its way.” Wir lachen, obwohl die Welt über uns hineinbricht. Dieser zerbrechlichen Welt, sich in seinen Werken niederschlägt, begegnet er mit medienübergreifenden Fetzenwerken, die wie eine Aneinanderkettung an Zitaten wirkt, aber ohne Anführungszeichen. Seit seinem Studium setzt sich Walch mit Textilien als Medium auseinander, aber die globalisierte Hybridität des Materials in Prato und Florenz situiert sein Schaffen neu. Dressing the Wind (Prato) ist ein Kommentar zu Florenz, Prato und dem Bambus der Toskana. Tief in der Erde wehen Fahnen an sieben Meter hohen Masten im Wind. Den heftigen Regen des Frühlings und den Wind haben die Muster und Stoffe überstanden. Auf Stoffen aus verschiedenen Lagern in Prato – dicht bedruckt, wiederholende florale und bunte Muster – führt er die Symbole, Farben und Linien der Drucke mit Farbdrucken und Malereien fort. So überführt er die industrielle Reproduktion der Muster wieder in die Handarbeit und entzieht sie der Massenproduktion. Es ist eine weitere Zweckentfremdung nach der Entfremdung der Arbeiter, aber die Muster haben so ein Nachleben und reproduzieren sich. Sie wirken nicht mehr nackt und entfremdet, wie in den Lagern Pratos oder stapelweise im Studio des Künstlers. Die wehenden Flaggen sind eine Fortführung der Zerfetztheit der globalisierten Toskana und doch auch ein empathisches Überführen in einen geschützten künstlerischen Raum. Die Ausbeutung und der extraktivistische Handel in Prato findet Ruhe und wird zugleich ausgestellt. Es ist eine der vielen Arbeiten, die im Garten der Villa Romana dem Titel dieser Ausstellung eine weitere Fußnote hinzufügt und zur Tradition der Textilproduktion und seiner kapitalistischen Verflechtung spricht: Let’s Agree to Disagree.
Mein Handy vibriert. Walch schickt mir einen neuen Wortfetzen: „It’s a Great Pressure to be Here”. Während in Deutschland die Kulturinstanzen, die auch über der Villa Romana walten, ihre Besetzung wechseln, schauen wir beide im Garten auf das Tal und sprechen über die politische Brisanz der Gegenwart. „Was soll noch eine Ausstellung, wenn die Welt brennt”, sagt Walch. „Vielleicht müssen wir gerade dann, wenn es so angespannt ist, einen Diskurs auch mal ruhen lassen können.” Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe spricht vom Agonismus, der sich innerhalb einer Demokratie binden lässt, ohne zu explodieren.
Agree to Disagree ist ein Zustand, um Luft zu schnappen. Turn Yourself in the Directions of Your Dreams (2025) und die Serie Allow Yourself Something sind aus diesem Moment des Aufgehobenseins entstanden. Die Weisheiten der Glückskekse sind sowohl absurd als auch poetisch, wie betrunken-polysemantische Übersetzungen, die über der Schwere der weltlichen Situation schweben. Gedruckt auf den Produkten Pratos, chinesisches Handwerk aus italienischen Haute Couture Werkstätten für die Märkte der Welt. Ein Dickicht aus floralen Mustern, die keinen klaren Blick nach vorne erlauben. Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Parolen, die zu nichts anstiften. Sie führen die populistischen Parolen der rechten Parteien Europas ad absurdum.
Ich stehe vor dem Dickicht eines Bambuswaldes auf dem Hügel der Certosa San Lorenzo di Galuzzo, einem ehemaligen Kartäuser-Kloster aus dem 14. Jahrhundert, mittlerweile zwischen Tankstellen, Supermarkt und den Hügel Richtung Siena situiert. Von der Certosa blickt man beinahe bis zur Villa Romana. An einem Hang wächst auch hier der Bambus, mit eingeritzten Namen und Liebesbekundungen. Walchs eingeritzte Sprüche auf den Bambusstäben in der Ausstellung stehen an der Schnittstelle zwischen den Fetzen dieser Welt in der sich Agree to Disagree situiert: das Einschreiben der Touristen, die sich ihre Liebe bekunden; die Faszination des ornamentalischen Bambus am Seitenflügel des mittelalterlichen Klosters; der Blick in die Massenproduktion und das Handwerk; der Blick in die Geschichte aus der Gegenwart; die Zwietracht.
Jonas Tinius
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