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Rémy Markowitsch
Julien
Einzelausstellung
13. September – 13. Dezember 2014
Eröffnung
13. September 2014, 11–20 Uhr
Galerie EIGEN + ART Leipzig
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Es ist nicht nur die Faszination Rémy Markowitschs für das Medium Buch und seine materielle Substanz, die er namentlich mit seinen „Durchleuchtungen" in Fotoserien mit Titeln wie
On Travel (1998–2004), Tristes Tropiques (2004) oder We Are Family (seit 2010) thematisiert. Der ganze „Flaubert-Komplex" – zunächst das Projekt Bibliotherapy meets Bouvard et Pécuchet (2002) sowie in Emma's Gift und Liquides noirs (2011) die Arbeiten, die vom Flaubert-Roman Madame Bovary inspiriert sind – dreht sich für den Künstler um den Leitgedanken der im weitesten Sinne halluzinierenden Wirkung eines notorischen literarischen Stoffes.
Rémy Markowitsch visualisiert und realisiert in seiner künstlerischen Arbeit jene starken Bilder, die in unserer Vorstellung aus der Lektüre literarischer Klassiker erwachsen. Dabei bedient sich der Künstler zumeist der Schlüsselszenen und -aspekte der jeweiligen Texte. Nicht nur hält Rémy Markowitsch mit seiner subjektiven Auswahl gleichsam ein Vergrößerungsglas auf ein einzelnes, ganz spezifisches Moment oder Element eines Textes. Er fusioniert dieses darüber hinaus wie in einem surrealistischen cadavre exquis mit einem weiteren Element, das er einer gänzlich anderen Quelle entnimmt und das den Bedeutungsraum des ersteren beträchtlich – besonders in den Bereich des Abgründigen hinein– erweitert. Rémy Markowitschs Quelle für seine Ausstellung Julien in der Galerie EIGEN + ART Leipzig bezieht sich auf Gustave Flauberts Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien, ungefähr so, wie es in Flauberts Julian Legende geschrieben steht:
Die Erwartungen der Eltern an ihren Sohn Julien könnten widersprüchlicher nicht sein: Die Mutter wünscht sich ihren Sohn als Heiligen, der Vater investiert in den königlichen Nachfolger und bildet ihn in der Jagd- und Kriegskunst aus, auf dass der Sohn stark und mächtig werde. Beide Erwartungen sind mit Prophezeiungen verknüpft, dem Prinzip der religiösen Legende folgend, werden beide Prophezeiungen eintreffen: Julien wird Mörder sein und Heiliger werden.
Gustave Flaubert erzählt diese Legende in den Trois Contes, den Drei Geschichten (1877), wobei er La Légende de St Julien l'Hospitalier (Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien) zuerst geschrieben hat, sie aber als zweite Erzählung zwischen Ein schlichtes Herz und Herodias setzte.
Mit der gezielten Tötung einer kleinen Maus in der Kirche beginnt im Bubesalter die rauschhaft blutig-wilde Karriere Juliens, um nach dem splatterartigen Töten aller Tiere im Wald, die Prophezeiung des tödlich mit dem Pfeil erlegten schwarzen Hirsches zu vollziehen - nämlich die Eltern zu ermorden. Die Heiligwerdung findet schließlich am Wasser „in einer Flut von Wonnen", in schier nicht fassbarer göttlicher Großzügigkeit statt.
„Und das ist die Geschichte von Sankt Julian dem Gastfreien, ungefähr so, wie man sie auf einem Kirchenfenster in meiner Heimat findet", beendet Flaubert die Julians Legende mit einer vermeintlichen Offenlegung seiner Quelle.
Für Julien lässt Rémy Markowitsch in seiner Ausstellung von der exakten Nachbildung von Flauberts krötenförmigen Tintenfass ein „Action Painting" entwerfen - eine im Laufe der Ausstellungszeit täglich anwachsende Werkreihe mit dem nonchalanten, dem fabelhaften „Autor-Tier" Respekt zollenden Titel Chapeau Crapaud!.