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Space and Place
Gruppenausstellung
17. Juli - 4. September 2021
Galerie EIGEN + ART Leipzig

Film & Redaktion: TABLEAU Films (Matthias Maercks)
Musik von Luca Hart, Cape Town @lucahart_music



In der Gruppenausstellung Space and Place präsentieren wir 15 KünstlerInnenpositionen aus Europa und Südafrika, kuratiert von Khanya Mashabela.

Obwohl sie als austauschbar gelten, gibt es zwischen den Worten Space/Raum und Place/Ort eine Art Spannung. Das Wort Raum impliziert Leere oder Verfügbarkeit: Raum zum Bewegen, Denken und Experimentieren. Wenn wir in der Kunst vom Raum sprechen, verweisen wir auf die Komposition – die Verwendung von Linie und Form, um den Eindruck von Perspektive oder Tiefe zu erzeugen oder zu brechen. Im Gegensatz dazu ist ein Ort aufgeladener und spezifischer, impliziert Zugehörigkeit oder Eigentum („Finde deinen Ort“). Der Ort ist ein Raum mit Kontext – Identität, Subjektivität, Erinnerung. In Space and Place zeigt jede*r der Künstler*innen eine einzigartige Beziehung zu Raum und Ort, vermittelt durch Politik, Psychologie, Sexualität und Technologie und eine jeweils einzigartige Bildsprache. Die Ausstellung zeigt Werke von teils neuen, teils etablierten Künstler*innen aus dem „Globalen Süden“ und dem „Globalen Norden“ im Dialog. Dabei geht es darum, auf welche Weise sie mit dem Spezifischen und dem Mehrdeutigen spielen, um eine Welt zwischen Fantasie und Wirklichkeit, zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen abzubilden.

Das Thema der Ausstellung ist gezielt vage gehalten. In einer einzigartigen Aufreihung werden die Verbindungen zwischen Künstler*innen ganz unterschiedlicher Bereiche und Kontexte erkundet; aber jede der Arbeiten vermag es zugleich, auf vielerlei Ebenen zu wirken und eine Unzahl von Problemen anzusprechen. Im Grunde erforscht die Ausstellung Spannungen, die in der gesamten Kunstgeschichte spürbar sind – in Kunstwerken, die nach innen schauen, in Kunstwerken, die nach außen schauen, und in solchen, die beides tun.

„Raum“ ist in Südafrika aufgrund der Landesgeschichte eine heikle Angelegenheit. Das Apartheidregime führte eine Reihe von Gesetzen und Regelungen ein, die eine Rassentrennung festschrieben und den Landbesitz einschränkten, um schwarze Arbeitskräfte in Stadt und Land besser ausbeuten zu können. Xhanti Zwelendaba verwendet in seinen Werken Materialien, die die besonderen Erfahrungen Südafrikas widerspiegeln, wie „ikhuko“, eine kulturell bedeutsame Grasmatte, die auch heute noch in ländlichen Gebieten Verwendung findet, oder das Notausgangsfenster eines Busses. Die öffentlichen Verkehrsmittel im Land werden aufgrund der wirtschaftlichen Ungleichheit hauptsächlich von schwarzen Arbeiter*innen genutzt. Sie sind im Allgemeinen überfüllt und in schlechtem Zustand, aber als Ort, an dem sich Menschen treffen, kann sich dort Kultur ausbreiten, wie die Popularität von Musikgenres wie Gqom und Pantsula belegt, die von Fahrer*innen der Minibus-Taxis gespielt wurden und sich so verbreiteten. Durch die Verwendung dieser Gegenstände mit ganz speziellen kulturellen Konnotationen erobert Zwelendaba das Land und dessen Darstellung in der Kultur zurück.

Auf ähnliche Weise integriert Asemahle Ntlonti Fragmente aus ihrer Umgebung in abstrakt anmutende Gemälde und führt den „Ort“ in ein Kunstwerk ein, das auf den ersten Blick eine eher formalistische Bildsprache einsetzt. Wir sehen zum Beispiel den Teil eines Mehlbeutels von Snowflake, einer bekannten südafrikanischen Marke. Der Ort wird auch durch den Titel Emaweni (Steil) vermittelt. Es bleibt uns überlassen, die Oberfläche zu betrachten und darüber nachzudenken, wie die Darstellung des Raums emotional und physisch "Steilheit" suggeriert.

Ein ähnlich interessantes Verhältnis haben die Arbeiten von Sepideh Mehraban zu ihren evokativen Titeln, aber auch zu Fundgegenständen. Ein Teppich lässt für sich genommen schon an einen bestimmten Ort denken, an das Zuhause, auch wenn dieser Ort durch seinen politischen Kontext aufgebrochen wird. Mehraban führt diese Brüche mit Farbe und Drucktechniken ein, bis ein Objekt, das für seine Symmetrie und Formenharmonie geschätzt wird, stattdessen auf Aufruhr und Vertreibung verweist. Geschichte und Wohlergehen des Zuhauses und im Weiteren einer ganzen Nation – des Iran – werden zu einem einzigen Objekt aufgeschichtet.

Bei Hanna Stiegelers Bildern handelt es sich um dramatische Darstellungen alltäglicher Gegenstände, die das Vergängliche monumental erscheinen lassen. Sie scheinen jedoch ganz anders zu funktionieren als die Arbeiten von Ntlonti und Mehraban. Statt bestimmte Zusammenhänge ins Gedächtnis zu rufen, scheinen die ästhetisierten Vergrößerungen im Nichts zu existieren. Es sind Bilder, die überall und nirgends zu sehen sein könnten und das Publikum eher an ästhetische Objekte denken lassen als an Platzhalter für etwas, das außerhalb des Werks existiert. Und doch erinnert dieses obsessive Interesse an der Oberflächenebene an Bilder aus den Massenmedien.

Im Gegensatz zu Stiegelers glatter Bildsprache knüpfen Ian Groses Gemälde enger an die Tradition der abstrakten Malerei an. Seine Arbeiten wirken auf den ersten Blick selbstreferenziell. Wir sehen eine Reihe von Farbtupfern in Kombinationen, die sich emotionsgeladen und einzigartig anfühlen. Obwohl es auf den Bildern „Raum“ in der künstlerischen Bedeutung des Wortes gibt, existiert er nur in den Beziehungen zwischen geometrischen Formen. Es ist scheinbar alles Raum und nichts Ort. In mancher Hinsicht sind diese Gemälde jedoch gegenständlich und figurativ, denn der Künstler hat die Darstellungen Textilmustern entnommen. Wenn man genau hinsieht, kann man auf einem der Werke sogar eine hineingemalte Sonneneruption erkennen. Grose setzt sich in seinem Werk auf subtile Weise mit der Malerei und ihren Bezügen zu inneren und äußeren Welten auseinander.

Thandiwe Msebenzi untergräbt die Erwartungen an den ländlichen Raum durch ihre künstlerische Praxis, in der sie Performance mit Fotografie kombiniert. In der Serie Asimboni Amakhwenkhweni (2018), was auf isiXhosa „Ich sehe die Jungen nicht“ bedeutet, sehen wir drei Stühle, die voneinander abgewandt in einem kahlen Wohnzimmer stehen. Die Ausrichtung der Stühle in Richtung der Wände wirkt befremdlich, aber die Merkwürdigkeit der Szene wird durch die zweite Fotografie unterlaufen, auf der wir einen Jungen beim Umgusha-Spiel sehen.Bei diesem Spiel, das hauptsächlich von Mädchen gespielt wird und das man im Deutschen als „Gummitwist“ kennt, wird eine zur Schnur gedrehte Strumpfhose um Stühle gebunden und nach und nach immer höher geschoben, um zu ermitteln, wer am höchsten springen kann. Hier sehen wir, wie eine Gebärde (ähnlich einem Gegenstand) einen bestimmten Ort heraufbeschwören kann und zugleich unsere Aufmerksamkeit auf Geschlechterrollen und patriarchalische Strukturen lenkt, die in der Kultur so vieles bestimmen.

Msebenzis Fotografien durchweht ein Hauch von Nostalgie. Dieses Gefühl wird in den Arbeiten von Elene Shatberashvili noch verstärkt. Nostalgie besteht nicht nur im Erinnern, sondern auch in der Sehnsucht nach einer unwiederbringlichen Vergangenheit. Shatberashvilis Bilder zeigen alltägliche Szenen, die sich intensiv mit diesem Gefühl der Sehnsucht auseinandersetzen; die Erinnerung wird zu einer Landschaft, die danach ruft, bestmöglich kartografiert zu werden. In der skizzenhaften Technik des Farbauftrags auf die Leinwand und den verschwommenen Konturen der Motive drückt sich in steter Wiederholung der Versuch aus, einen einst vertrauten Ort zu erkunden und abzubilden.

In Brett Seilers künstlerischer Praxis stehen Gender und Sexualität im Mittelpunkt und unterlaufen patriarchalische und heteronormative Ideale. Wir sehen Intimität und Zärtlichkeit zwischen Männern, aber auch eine eigentümliche Darstellung von Raum. Der Hintergrund gleicht oft einer Leere, und Andeutungen von Linearperspektive – wie die Linien eines Tisches – bleiben unzusammenhängend und unbestimmt. Durch diese Ästhetik nimmt sich Seiler die künstlerische und gestalterische Freiheit, die der offenbaren Seinsfreiheit seiner Figuren entspricht. In seiner Kunst gewährt Seiler sich den Raum, außerhalb der Regeln zu leben, um den Körper, offene Sexualität und sexuelle Tabus sowie emotionale Verletzlichkeit zu erkunden.

Das Interesse am Körper teilt auch Louisa Clement. Obwohl sexuelle Freiheit in ihrer Serie „body fallacy“ präsent ist, geht ihre Entdeckungsreise darüber hinaus. Der Körper wird wie die Topografie einer Landschaft detailgenau dokumentiert und entzieht sich so der kulturellen Last, die insbesondere den Frauenkörper so oft beschwert. In Clements „Mirror“-Serie sehen wir auch etwas, das auf den ersten Blick wie die Abwesenheit des Körpers erscheint. Auf der ästhetisch ansprechenden, verspiegelten Oberfläche sehen wir jedoch uns selbst und den Ausstellungsraum, verzerrt nach dem Willen der Künstlerin.

Lotte Merets Körperdarstellungen funktionieren anders als die von Clement. Statt gesellschaftliche Wertvorstellungen und Ideologien zu meiden, stürzen sie kopfüber hinein. Meret zeigt unsere Körper so, wie sie im virtuellen Raum existieren, vermittelt durch das Internet und entsprechend effektvoll überhöht. Diese Übertreibung versetzt Meret in die Lage, die düsteren und lächerlichen Aspekte dieser neuen Kulturlandschaft zu veranschaulichen.

Natalie Paneng nimmt das Konzept einer Online-Kulturlandschaft genauer unter die Lupe und untersucht, wie die virtuelle Welt der sozialen Medien ihre eigenen Wertesysteme hervorgebracht hat – ganz so wie ein neu gegründetes Land. Paneng setzt sich in „A NICE NICEATOPIA“ unmittelbar mit dieser Idee des Internets als eigene „Nation“ auseinander. Wie Seiler nutzt Paneng ihr Medium, um sich die Freiheit zu nehmen, in ihrem eigenen Bild die Welt zu sehen.

Ein Interesse am Fantastischen und Surrealen zeigt sich auch in den Arbeiten von Igor Hosnedl und Adrian Mudder. Mudder bedient sich wie Paneng einer manchmal humorvollen und oft zumindest heiteren ästhetischen Sprache, die bei genauerer Betrachtung auf eine Desillusionierung von der „realen“ Welt und auf den Wunsch hindeutet, einen besseren, bunteren und skurrileren Ort zu schaffen. Warum aus dem Fenster schauen und die „Realität“ betrachten, wenn man stattdessen eine Reihe aufmunternder Farben und Formen sehen kann?

Igor Hosnedl beschäftigt sich ebenfalls mit dem Surrealen, auch wenn seine Kunstwerke emotional mehrdeutig sind und durch Variationen in Farbe und Linienführung vom Sinnlichen und Heiteren bis hin zum leicht Unheimlichen reichen. Jede erfundene Landschaft fühlt sich irgendwie vertraut und zugleich fremd an.

Die Werke von Madeleine Roger-Lacan liegen irgendwo zwischen Mudder und Hosnedl und sind in ihrer Grundstimmung mehrdeutiger. Die Welt in Roger-Lacans Arbeiten schwankt zwischen zuckersüß und erbärmlich, Körper verschmelzen mit Landschaften und spielen wiederum mit der Spannung zwischen dem Vertrauten und dem Fremden oder Surrealen.

Gabrielle Kruger bringt uns schließlich zurück in die „reale Welt“. Obwohl ihre Bilder auf den ersten Blick abstrakt erscheinen (ähnlich wie bei Grose), beziehen sie sich auf unkonventionelle Weise auf die Natur. Wenn sie zum Beispiel das Meer malt, schaut sie auf Planschbecken und Strände, die mit Algen und anderen schleimigen und schimmernden Rückständen gefüllt sind. Verstärkt wird die Wirkung durch Krugers einzigartiges Arbeitsmaterial – Plastikfarbe, die sie nach dem Extrudieren in Form schneidet und die beim Aushärten das geschmeidige Aussehen beibehält. Die Verwendung von Plastik zur Darstellung der Natur verweist auf die unbarmherzige Realität der Umweltzerstörung, zu der die Verwendung von Einwegplastik beiträgt. Die Kombination dieser vergänglichen Szenen aus einem biologisch nicht abbaubaren Material wirft im Kontext von Kunstwerken, die wir als unvergängliche Objekte verstehen, drängende Fragen auf.

Khanya Mashabela (Übersetzung Frank Süßdorf)

Khanya Mashabela ist Kuratorin an der Norval Foundation in Kapstadt. Hier hat sie u.a. „And then you see yourself - Zanele Muholi“ und „Mixed Company“ kuratiert. Zuvor war Mashabela drei Jahre bei der Cape Town Art Fair tätig und arbeitete davor und währenddessen als unabhängige Kunstjournalistin, mit Schwerpunkt auf ästhetische und politische Anliegen moderner und zeitgenössischer KünstlerInnen aus dem südlichen Afrika. Mashabela hat einen Master-Abschluss in Kunstgeschichte vom Courtauld Institute of Art, London. Ihre Texte wurden in Publikationen wie Aperture Magazine, Hyperallergic, Elephant Magazine, Contemporary And (C&) und Mail & Guardian veröffentlicht.

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