Alex Lebus

Text

Gegensätze

Alex Lebus hat ihr künstlerisches Hauptthema schon lange gefunden. Dies ist keinesfalls der Spiegel, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre, da er von der Künstlerin so häufig als bildnerisches Material genutzt wird. Die Spiegelungen sind jedoch kein Selbstzweck, sondern dienen ihr nur als Mittel zum Zweck, um eine dahinterliegende Frage­­stellung ästhetisch – quasi glasklar – zu formulieren. Im Kern geht es ihr jedoch um das große Thema der Inversion, der Umkehrung. Es ist die Lust am Widerspruch, an der Ver­kehrung der Dinge, an Ambivalen­zen und ihrer Enttarnung, die Alex Lebus umtreibt.

Dass sie dafür Spiegel verwendet, liegt nahe. Deren doppelgesichtiges Wesen gaukelt uns vor, sie würden objektiv und in Echtzeit reflektieren, was vor ihnen sei. Dienen sie nicht aus diesen Gründen der Selbst­erkenntnis und kritischen Selbstbe­trachtung? Hinterrücks vertauschen Spiegel jedoch die Seiten, sodass sie das Gespiegelte bis zur Unkennt­lichkeit verfremden können.
Wir Menschen merken dies kaum, da unser Körper vergleichsweise sym­metrisch angelegt ist – aber schon bei der Spiegelschrift sind wir aufgeschmissen. Was sind Spiegel doch für geheimnisvolle und dialek­tische Werkzeuge! Sie verbreiten gerade da machtvoll und glänzend Falschheiten, wo wir Wahrheiten suchen. Diese tückische Eigenschaft macht sich Alex Lebus zunutze.

So lässt sie zum Beispiel das englische Wort »ME« spiegeln, das sich in einer optischen wie inhaltlichen Ver­wandlung in ein »WE« verkehrt. Die schnöde Drehung des Buch­stabens »M« geht mit einer poetischen und fast romantischen Wendung einher.
Das »Ich« hat plötzlich immer schon im »Wir« gesteckt, wie auch andersherum das »Wir« erst mit dem »Ich« entstehen kann: »Ich« und »Wir« bedingen einander. Dieser Erkenntnis ist der Betrachter just in dem Moment ausgesetzt, in dem er sich selbst spiegelt, was eine nochmalige Verwirr­ung darstellt. Ist  er in diesem Moment ein »Ich« oder ein »Wir«? Verliert sich der Einzelne in der Masse, ohne es zu merken – wie in Monty Pythons Film Das Leben des Brian, in dem die Menge unisono bestätigt: »Ja, wir sind alle Individuen?« Kann der Betrachter zu einer Erkenntnis gelangen, obwohl der Spiegel lügt? Es sind eben diese verqueren Verwirrungen und Paradoxien, aus denen Alex Lebus ihre Ideen schöpft und die sie – wiederum dem Denkmuster des Kon­t­rastes treu bleibend – in ästh­et­isch kühler Präzision künstlerisch umsetzt.
Schon sind wir bei einem zweitenkünstlerischen Mittel, das bei Alex Lebus‘ Arbeiten häufig vorzufinden ist und das ebenfalls dazu dient, Polaritäten aufzuspannen: die Schrift. Sie taucht in verschiedener Weise bei ihr auf, gern in Kombination mit Spiegeln. Stets bearbeitet die Künstlerin alte, bereits benutzte Spiegel, indem sie ihre Rückseiten partiell abkratzt, um beispiels­weise Begriffe wie Lust, INOUT oder haute Créature hervortreten zu lassen. Mit mechanischen Werkzeugen und diversen chemischen Hilfs­mitteln rückt die Künstlerin den in­dus­triell gefertigten Ober­flächen zu Leibe – Spiegel aus verschiedenen Zeiten erfordern unterschiedliche Be­handlungen, die Alex Lebus jedes Mal mühevoll neu erprobt. Wieder stoßen wir hierbei auf ein Gegensatz­paar, nämlich das von Stehenlassen und Abkratzen: Mal wird der Schriftzug entfernt, sodass der Be­trachter durch die Buchstaben hin­- durch hinter den Spiegel schauen kann; mal ist der Schriftzug der spiegelnde Teil, welcher die eigene Form zurückwirft, während die gesamt Restfläche, von der reflektierenden Schicht befreit, zu durchsichtigem Glas wird.
Es ist das alte Thema von Figur und Grund, was hier zum Tragen kommt. Dieses Vorgehen entpuppt sich als raffinierter Schachzug. Beim Betrachter gerät auf diese Weise die Gewissheit ins Wanken, was denn nun die Existenz des lesbaren Wortes ausmacht – das Entfernte oder das Verbliebene? Verunsicherungen dieser Art sind Teil des künstlerischen Manövers.

Alex Lebus‘ – bewusst ver­knappte – Wortauswahl rankt sich um grundsätzliche Fragen des Seins, um Scheinwahrheiten. 2014 bear­beitete sie innerhalb ihres Hegenbarth-Stipendiums einen Spiegel so weit, dass nur noch der Schriftzug Lust stehenblieb. Wie ein Regalboden mit Haltern an der Wand befestigt, ist die geschwungene Schreibschrift so beleuchtet, dass der Wortlaut nach oben gut lesbar an die Wand gespiegelt wird. Dort glänzt die Lust in ihrer ganzen Pracht und Verlockung. Zugleich – und hier offenbart sich wieder die Macht des Widerparts – ergibt sich ein Schattenwurf nach unten. Dort ver­wandelt sich das Wort in ein unlesbares, wenn auch schönes, gerade in seiner Verfremdung verführ­erisches Geschlinge. Alex Lebus macht optisch erfahrbar, wie weit das Feld der Lust reicht: vom lichten Vergnügen, dem Genuss und »lustigen« Spaß bis hin zum »lüsternen« Begehren und wilden Verlangen. Das Oben und Unten, das Hell-Spiegelnde und Düster-Schattige veranschaulicht die Spannbreite der Empfindung »Lust« und offenbart, wie ambivalent eine Regung, ein Gefühl sein kann.

Ähnliches spricht sie in einer weiteren Spiegelarbeit von 2014 an, in welcher die Buchstaben INOUT aus­gekratzt sind. Der Blick des Betr­achters durchdringt das Wort – hinein und durch die Scheibe hindurch wieder hinaus. Lesen und Voll­ziehen fallen in eins. Dass Alex Lebus auch in diesem Werk nach der Existenz fragt, nach der Beziehung von Mensch und Welt, verblüfft jetzt nicht mehr. Es geht in diesem Fall um das Mit- und Ineina­nder von »in« und »out«, von »rein« und »raus«, das unser Leben bestimmt. Vom Stoffwechsel (Atmen, Essen, Trinken, Ausscheiden) über die Fort­pflanzung (Geschlechtsverkehr, Geburt) bis hin zu Gewalt und Krankheit (Verletzungen), besteht unser Alltag aus einem einzigen, stetigen Austausch zwischen Innen und Außen. Das Körperliche wird hier zur Metapher, in der die gesellschaftliche und die politische Dimension mitgedacht und mitempfunden ist.

Eine wesentliche dritte Zutat wirft Alex Lebus in die künstlerische Waagschale: die Ästhetik der glänzenden, auf Verführung getrimmten Konsumwelt. Rabiat polarisiert sie hier und kämpft gegen die Über­macht der Werbeindustrie. Pointiert und mit viel Gespür für Witz und Feinheiten der Gestaltung hat sie etwa die Wortneuschöpfung DUTIER in breiten Versalien gesetzt und damit eine Marke geschaffen, die sich mit Kalkül an dem Schriftzug des Modeschöpfers und Parfüm­herstellers Jean Paul Gaultier ori­en­tiert. Empfänglich für Werbe­botschaften und längst den Werbe­strat­eg­en verfallen, liest der Betrach­ter mit großer Selbstver­ständlichkeit ein französisch pronon­çiertes Dutier.
Damit ist er Alex Lebus, sicher zu ihrer großen Freude, bereits aufgeses­sen. Denn eine mitgedachte, kleine, eingeschobene Trennung zwischen »DU« und »TIER« verweist jeden Konsumenten von Luxus­produkten auf seinen Platz zurück: Du Tier!, – der Mensch als Tier. Dass das Parfum nur dem Überdecken eines animalischen Geruchs dient, schwingt in dieser Arbeit selbst­verständlich mit. Als Aufkleber und Stempel, aber auch auf Spiegeln produziert, nutzt Alex Lebus die Äst­h­e­­tik und Verbreitungswege der Werbeindustrie und enttarnt diese so mit ihren eigenen Mitteln. Der Künstlerin gelingt es, dass wir die Parfümmarke plötzlich als »Gaul Tier« wahrnehmen.

In dieselbe Richtung zielt die Künstlerin in ihrer Spiegelarbeit haute Créature. Diesmal ist die edle Maßschneiderei zu Höchstpreisen angesprochen, die »Haute Couture«, die überraschend mit dem zum Verwechseln ähnlichen Begriff der »Créature« konfrontiert wird. Die hohe Kunst der luxuriösen Bekleidung stößt mit schmerzhafter Wucht auf die »Kreatur«, die oft mit dem Zusatz »armselig« konnotiert wird; die Kreatur als verächtliche Bezeichnung eines minderwertigen Geschöpfs, das einem Höher­gestellten knechtisch ergeben ist. Der Be­trachter kann sich dem Beziehungsgeflecht nicht entziehen, ist er als Gespiegelter doch Teil des Kunst­werks: Er ist die Kreatur.
Vom höchsten Luxusgut zum elenden Geschöpf, größer kann die Schere einer sozialen Spaltung nicht aus­fallen. Doch diese Arbeit wäre nicht von Alex Lebus, wenn nicht noch weitere inhaltliche Verknüpf­ungen mitgedacht seien. Wird nicht auch der Konsument unterjocht, ist womöglich er der eigentliche Knecht im kapitalistischen Getriebe?
Der Clou dieses Werk besteht jedoch in der Doppeldeutigkeit des Wortstammes von »Créature«. Aus dem Lateinischen von »creare« kommend, schwingt das Kreative mit, das Schaffen und Gestalten. Heimlich hat Alex Lebus ihren eigenen Berufsstand, die Kreativen, in einen bestehenden Begriff eingeschmuggelt, quasi auf den Sockel gehoben und damit nobilitiert: den »haute Créateur«.
Auf verschlungenen Pfaden und über Windungen und Schlaufen hinweg begibt sich der Betrachter in Alex Lebus‘ Werken auf eine Entdeckungsreise, die mit vielen Bezügen und Rückbezügen, Abgründen und Höhenflügen überrascht. Die Künstlerin ist rabiat in ihrer konsumkritischen Haltung, klar in ihrem Urteil und energisch in ihrem künstlerischen Wollen. Ihre Bildschöpfungen sind präzise im Handwerk, kühn in der Umsetz­ung und poetisch in ihrer Wortwahl.
In der Auslotung von Gegensätzen sind sie zu gleichen Teilen affirmativ wie subversiv, sie changieren zwischen zynischem Pessimismus und verwegenem Optimismus. Auch hier bleibt sich Alex Lebus treu.

Text con Carolin Quermann

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