Lada Nakonechna (*1981 in Dnipropetrovsk, Ukraine lebt und arbeitet in Kyjiw) hat an der National Academy of Fine Art and Architecture in Kyjiw studiert und konfrontiert den Betrachter in ihren Zeichnungen, Installationen, Videos und Performances mit Bildern des aktuellen Zeitgeschehens und Bilderfahrungen aus dem kollektiven Gedächtnis, die sie manipuliert oder verfremdet. Häufig lässt sie dabei den Mensch in Form des Betrachters selbst zum manipulativen Störfaktor werden, der ein vorgegebenes Bild beeinflusst und verändert. Die Künstlerin ist an einer Reihe von Künstler-, Kuratoren- und Forschungsprojekten sowie an weiteren Kollektiven beteiligt.
Lada Nakonechnas Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel-und Gruppenausstellungen präsentiert, wie zum Beispiel im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine, im Albertinum/Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, der GfZK Leipzig, dem Haus der Kunst München, dem Museum für Moderne Kunst in Warschau, dem Kunstmuseum Sewastopol in der Ukraine, dem Malmö Kunstmuseum in Schweden, dem Kunstmuseum Wolfsburg und der Kunsthalle Trondheim in Norwegen. Sowie als Teil der R.E.P.-Künstlergruppe u.a. mit Ausstellungen in der Zacheta Galerie in Warschau, dem Kumu Art Museum in Tallinn, der Kunsthalle Wien, dem Grazer Kunstverein, dem Museum für zeitgenössische Kunst KIASMA/The Finnish National Gallery und dem ZKM - Museum für zeitgenössische Kunst in Karlsruhe.
Ihre Werke befinden sich in verschiedenen öffentlichen Sammlungen, z.B. im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine, im Philadelphia Museum of Art, USA, im Malmö Konstmuseum, Schweden, in der Sammlung Deutsche Bank oder in der Kunstsammlung Telekom.
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Die Künstlerin als weiteres Objekt betrachten
Beim Entstehen ihrer Werke achtet Lada Nakonechna stets darauf, Raum zu schaffen und für andere freizulassen. Bis zu einem gewissen Grad können ihre Arbeiten als Sichtbarmachung des Bedarfs an einem Betrachter gelten. Die Künstlerin benötigt, wie übrigens jeder andere Mensch auch, dringend einen Zuschauer, um sich selbst sehen zu können. Gewissermaßen ermöglicht nur diese Art von Reflexion das Entstehen von etwas Alltäglichem, das niemandem gehört, aber von allen geteilt werden kann. Wie entzieht man sich also selbst dem Blick und schafft Platz für etwas, das dann passiert oder passieren könnte? Wie hört man mit dem Produzieren, Ansammeln und Aneignen auf und beginnt stattdessen, all das aufzurufen, zu beobachten und zu analysieren, was bereits produziert, angesammelt und angeeignet worden ist? Vielleicht kann dieser Akt des Platzschaffens als letzte Möglichkeit eines Menschen gesehen werden, mit der Unmöglichkeit des Lebens zurechtzukommen?
Sich als Zuschauerin sichtbar zu machen, die selbst dann handelt, wenn sie sich nicht bewegt (denn für jemanden, der seinen Wunsch kundgetan hat, die Welt zu verändern, ist die Untätigkeit das Gefährlichste überhaupt) – das könnte Ladas künstlerisches Manifest sein. Indem sie der Naturordnung entkamen und sich zu Rivalen der Natur erklärten, nahmen Menschen auch die Verantwortung der Selbstreflexion auf sich. Eine jede Darstellung der Welt scheint unvollständig zu sein, wenn es niemanden gibt, der darüber nachdenkt, wenn der Qualität und Besonderheit dieses Schauens keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die unvollendeten Landschaften im oberen Wandteil von Incomplete warten auf die Ankunft von jemandem, der die Landschaft bevölkert, doch gibt es außer den Körpern der Betrachter, die den leeren Raum füllen, nichts zu sehen. Mit diesem Vorgehen wendet die Künstlerin den Blick des Betrachters auf sie selbst zurück, um sie selbst zu sehen, die sich selbst in dieser unvollendeten Landschaft anschaut.
In Constructing the New Landscape offenbart die Künstlerin auch den Prozess des Schaffens einer neuen Landschaft. Diese neue Umgebung, die zivilisiert erscheint, ist nicht überschaubarer oder lebenswerter als der Wald voller Gefahren und Schreckensbilder, dem die Menschen entkommen sind. Die Menschen haben eine Realität erzeugt, in der Bilder von Straßenkämpfen gegenüber natürlichen Landschaften überwiegen. Doch sind diese Bilder so unverständlich wie der zurückgelassene und bedrohliche Wald. Warum rebelliert die Welt gegen die Menschen, die sie erfunden haben? Wie kommt es, dass der scheinbar unbedrohlich gestaltete Lebensraum für Menschen eine neue Bedrohung darstellt?
Vielleicht ist die Angst, die der Mensch in der Natur verspürt, eine grundsätzlich andere als die des modernen Menschen? Ist es möglich, dass die Furcht vor dem Wald einfacher zu verstehen ist, da sie von natürlichen Gegebenheiten hervorgerufen wurde und einfache Aktionen erforderte wie den Angriff eines Feindes, die Selbstverteidigung gegen Gefahr oder die Jagd nach Beute? Indem sie sich vor den Bedrohungen durch die Natur geschützt haben, haben die Menschen nicht die Furcht beseitigt. In Personal Shield stellt Lada Nakonechna die Furcht des zivilisierten Menschen zur Schau – vor dem anderen, vor der Welt, und vor sich selbst. Diese Furcht verschwindet nicht, selbst in der relativen Sicherheit der heutigen Gesellschaft. Diese Furcht hat sich angehäuft, da die Methoden, wie man sie erkennen und überstehen kann, verloren gegangen sind. Die Arbeit Reserved besteht aus einem Käfig, der den gesamten Raum ausfüllt, sodass kein Platz zum Eintreten bleibt. Das Werk offenbart die übliche Reaktion auf diese verborgene Angst – das Besetzen oder Aneignen eines Raumes oder einer Argumentation, der Wunsch (ob physisch oder mit dem Verstand), die Welt zu beherrschen.
Als sie die Wände der Bibliothek in der Albertina mit Bleistiftzeichnungen von Bücherregalen inmitten herrlicher Landschaften überzog (Perspective), lehnte es Lada Nakonechna ab, ihre Zeichnungen auf irgendeine Weise zu schützen. Die Arbeit, welche die Künstlerin über drei Monate hinweg während der Öffnungszeiten der Bibliothek in Anwesenheit der Besucher schuf, hätte von jedem, der den Raum betrat, mit dem bloßen Strich eines Radiergummis zerstört werden können. Die Kunst sollte, wie alles andere vom Menschen Geschaffene, nur so lange bewahrt werden, wie ein Bedarf dafür besteht – sei er existenzieller Art oder lebenswichtig. Wenn etwas kein Potenzial mehr hat, sollte es einfach ausrangiert werden. Die Fragilität und das mögliche Verschwinden von Ladas Werken verdeutlichen, dass die Kunst eine Art von Handlung in der Welt ist, und zugleich wird das Kunstwerk entheiligt und demystifiziert.
In Appropriated Phrases geht der Zuschauer, die Zuschauerin durch einen Flur, in dem er aus dem Zusammenhang entfernten Zitaten aus Brechts Stück Der gute Mensch von Sezuan begegnet, bei denen der Name der sprechenden Person jedoch durch seinen Körper verdeckt wird. Stattdessen werden diese Namen – der Alte, der Arbeitslose, der Polizist – auf den Rücken des Zuschauers projiziert. Dieser ist, da er sich selbst zwischen der Person und der Argumentation entdeckt, etwas verblüfft: Wer ist es, der das sagt? Was bedeutet es? Warum werden genau diese Worte gesagt? Wie bin ich schließlich zum Mittler zwischen Argumentation und Person geworden, und was soll ich in dieser Situation tun? Aus dem in einen Prozess des Nachsinnens verwickelten Zuschauer wird ein Gesprächsteilnehmer gemacht, auch wenn er nicht derjenige ist, der spricht.
Lada Nakonechna denkt über die Fähigkeit einer Person nach, ihre Umgebung – die häufig von der eigenen Vorstellung von dem, was gerade betrachtet wird, verdeckt wird – wirklich wahrzunehmen. Dies wird in der Arbeit Almost the Same ersichtlich, in der die Wand des Ausstellungsraumes mit einer sie genau kopierenden Fotografie bedeckt ist. In Object Lesson of my Participation befasst sich die Künstlerin mit der heutigen Stellung und Funktion der Kunst. Wenn eine endlose Zahl von Bildern geschaffen und von gewissen Menschen dazu verwendet wird, andere Menschen zu manipulieren, ist es die Aufgabe der Künstlerin, die unterschiedlichen Methoden der Manipulation zu präsentieren und die durch sie hervorgebrachten Strukturen der Illusion zu entlarven. Vielleicht handelt es sich bei der Präsentation der Mechanismen, Instrumente und Methoden der Kunst auch um einen Versuch, über das System der sozialen Beziehungen nachzudenken?
Indem sie die Methoden und Prinzipien enthüllt, die der Künstler für die Konstruktion von Realität verwendet, bringt Lada Nakonechna eine gewisse Demystifizierung der Wahrnehmung zur Aufführung. Zugleich teilt sie diese Arbeit mit Zuschauern, die der Grenzenlosigkeit der Bilder müde sind – eine Art, mit der heutigen Welt zurechtzukommen. Lada Nakonechna demystifiziert nicht nur das Werk des Künstlers, sondern auch dessen zum Heiligen gewordenen Persona. In unterschiedlichen Ländern und in unterschiedlichen Ausstellungen wiederholt sie ihre Performance Bad Face of Ukraine, in der sie bewegungslos und mit geschlossenen Augen im Ausstellungsraum auf einem Stuhl sitzt. So gibt sie ihre eigene Stellung der Beobachterin (die ihren Werken bereits eingeschrieben ist) an den Zuschauer weiter, platziert sich selbst als weiteres Objekt neben ihre Werke, als Objekt, das für den Blick und gleichermaßen die Analyse des anderen zugänglich ist. Lada Nakonechna offenbart die Kunst als Rahmen für den Blick auf die Welt, und als Erläuterung der komplexen sozialen Strukturen, die das beeinflussen, was wir sehen. Zugleich macht sie sich diesen künstlerischen Ansatz nicht zu eigen, sondern lädt den Zuschauer und die Zuschauerin ein, dasselbe zu tun – in der ihm oder ihr eigenen Weise.
Mariana Matveichuk