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Kai Schiemenz
Once Over Easy
Galerie EIGEN + ART Leipzig
14. April – 16. Juni 2018

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Schwellenkunde.

Unverbrüchliche Gattungs- und Materialtreue wird man Kai Schiemenz wahrlich nicht vorhalten können. Alles unterliegt bei ihm einer freien Volatilität, von Holz über Stahl zu Mischmaterialien, umgesetzt und verwirklicht in Installationen, großen Konstruktionen und Objekten. Baute er aus Holz ganze Stage-Designs und Theater und Arenen oder warf Stahlträger als Lichtmikado aus, so war er gerade eben noch mit Glas, dieser unterkühlten Schmelze und ihrer magischen Fähigkeit befasst, Helligkeit und Licht nicht nur durchscheinen zu lassen, sondern sie vielmehr auch auratisch speichern zu können; volumetrische Kompositionen, ausgesetzt dem alchemistischen Spiel einer kaum berechenbaren Färbung des archaischen Materials. Das zeugte, was als Begriff und Ziel lange verpönt war, eine Schönheit der Objekte.

In Leipzig wandert Schiemenz wiederum zu anderen Materialien und anderen Darbietungsformen weiter, zu Marmorit, gebunden in Acrystal und in Pappe gegossen; Reste bleiben hängen und torpedieren die glatte Ganzheit. Es sind wiederum Kompositionen, nicht in strenger Geometrie, sondern in freier Abstraktion der Volumina. Dazu aber tritt eine Reihe – nein, eine ganze Ansammlung weiterer Skulpturen und Plastiken, die Rätsel aufwerfen. Hier eine Hand, dort ein Kopf, dahinten ein Armfragment. Was ist das, was treibt diese Suchbewegungen in Material und Arrangement? Erstaunlich genug zeigt sich in der Leipziger Zusammenstellung eine Hinwendung zur gegenständlichen, figürlichen Darstellung. Einer konstruktivistischen Skulptur wachsen auf einmal wieder Arme an. Die logische Konstruktion der Richtungen und Kräfte wird reformuliert zum sinnlichen Körper. Hier tritt ein narratives Element in die Gestaltung ein, das von Ferne und in Etwa besagt, du sollst dir wieder ein Bildnis machen, kehre aus der Leere der Abstraktion zurück in die fleischlich-bildhafte Fülle. Ist dem so?

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Bei einem Gespräch gerieten Schiemenz und ich über zwei Begriffe in einen Disput – und an unser beider Grenze. Wie er selbst seine Objekte bezeichne, als Skulptur oder Plastik fragte ich ihn. Skulptur war seine prompte Antwort, bevor ein leises Zögern einsetzte; Plastik sei ihm zu westlich. Auf einmal echote und wetterte die deutsche Spaltung durch den Kunstraum, das Malus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, denn auch mein Sprachgefühl wollte Skulptur und Plastik gern östlich und westlich der Mauer verorten. Beide verfehlten wir den genauen Gedanken. Denn bereits um 1900, also lange vor den nachfolgenden politischen Wirren definierten die Enzyklopädien, dass „die Begriffe Plastik, Skulptur und Bildhauerei meist gleichbedeutend gebraucht werden." Kaum noch Spezialisten, die der Unterscheidung frönen, dass die Plastik im engeren ein An-Schaffen des Materials (Bsp. Ton) bezeichnet, während die Skulptur durch ein Weg-Schaffen (Meißeln, Hauen, Höhlen) entsteht. Entscheidend ist, dass es beides Formen der Bildhauerei sind – und diesen Begriff sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen, da er selten noch gebraucht wird. Ein Bild hauen. Das physisch-tätige Meißeln, Dengeln, Quetschen, Schlagen stets, um ein Bild in die Welt zu setzen. Auf dem Weg dorthin befindet sich Kai Schiemenz offenbar, auf der Schwelle von der Abstraktion zur Konkretion, vom Informellen zum Körperlichen.

Doch scheint das nach dem Jahrhundert der Abstraktion nicht ohne Schrecken und Gewalt zu gehen. Im Raum steht eine kleine Plastik mit dem Titel Rumpelstilzchen. Es ist eine harmonische, tänzerische Figur schöner Proportionen. Die überlangen Arme erheben sich auf kurzen stampfenden Beinchen, um – ja, was? Um sich den Kopf entzweizureißen, der sich bereits auf entsetzliche Art gekluftet und gespalten hat. Rumpelstilzchen ist ein Lar, eine der unscheinbaren Gottheiten, die zum Schutz der Schwelle bestimmt sind und beachtet, gepflegt, gehört werden wollen. Er ist der Magier der Übergänge, bis er selbst enthüllt, entlarvt und namentlich im buchstäblichen Sinn aufgeklärt wird.

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Ausgerechnet diese Plastik aber ist aus Plastilin, einem vergänglichen Material – soweit treibt Kai Schiemenz seine Schwellenkunde, dass er ihre Gottheiten gleich wieder verschwinden lässt. Liegt hierin auch das Geheimnis des rätselhaften Titels der Ausstellung, der aufmüpfig und banal zugleich besagt, das Spiegelei flippen, springen, sich drehen und wenden zu lassen? Bild und Gegenständlichkeit – noch einmal gewendet und von der anderen Seite, der abstrakten gebacken? Wer weiß das schon.

Text: Gerwin Zohlen

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